Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Sog der Gefahr

Im Sog der Gefahr

Titel: Im Sog der Gefahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Anderson
Vom Netzwerk:
vergraben mochte, Neuigkeiten verbreiteten sich immer wie ein Lauffeuer. Lange würden das Wrack und der Mord kein Geheimnis mehr bleiben, aber er wollte sich da nicht einmischen. Sollte die Polizei doch ausnahmsweise mal ihre Arbeit machen. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Hast du Brent in letzter Zeit gesehen?« Die Frage sollte beiläufig klingen.
    Sie zog die Schulter zurück, und er ließ die Hand sinken. »Ich hatte dir gesagt, dass ich nicht mehr mit deinem Bruder zusammen bin.«
    »Das sagst du schon seit Jahren. Ihr zwei kommt doch immer wieder zusammen.«
    Sie zog ihren blauen Cardigan über der adretten Baumwollbluse zusammen. »Diesmal nicht.« Ihr Blick wirkte gequält, als sie zu lächeln versuchte. »Ich hab mir wohl den falschen Bruder ausgesucht, was?«
    Er zog sie in die Arme – sie war so klein und zerbrechlich, zu zart für einen Mann mit Carver-Blut. Er gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Du bist für jeden von uns zu gut.«
    Für einen Augenblick drückte sie ihn fest an sich, dann zog sie sich zurück. »Ehrlich gesagt treffe ich mich mit jemand anderem. Eine reine Bettgeschichte. Mehr Ausdauer. Weniger Skrupel. Keine Ängste.«
    »Ein paar verdammte Skrupel sollte er schon haben. Wer ist es?«
    Sie grinste ihn an. Obwohl das Strahlen in ihren Augen mit den Jahren nachgelassen hatte, war sie immer noch schön. »Das geht dich nichts an. Ich habe ein bisschen Spaß. Er ist doch nicht verletzt, oder?«, fragte sie plötzlich.
    »Wer?«
    »Brent.« Als er den Kopf schüttelte, atmete sie auf.
    »Ich muss ihn besuchen.« Nicht unbedingt etwas, worauf er sich freute. Finn schob die Hände wieder in die Hosentaschen.
    »Er wird dich nicht willkommen heißen.« Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, die brave, gediegene Bibliothekarin, die jahrelang darauf gewartet hatte, dass sein Bruder aus dem Gefängnis entlassen wurde. Und als es dann so weit war, hatte der Mistkerl sie sitzen gelassen.
    »Er will nie irgendjemanden sehen. Aber diesmal wird er mit mir reden.« Ihm blieb keine andere Wahl.
    Zwanzig Minuten später trat Finn in Thoms Büro und schloss leise die Tür hinter sich. Ihre Beziehung war kompliziert, und er war Thom mehr schuldig, als er je würde begleichen können.
    Thomas Edgefield hatte ihn großgezogen, seit er dreizehn gewesen war und sein Bruder ihrem Vater eine Bierflasche über den Kopf gezogen und ihn damit umgebracht hatte. Dank eines gnadenlosen Staatsanwalts, eines beschissenen Verteidigers und eines harten Richters war der sechzehnjährige Brent Carver als Erwachsener angeklagt und wegen Mordes mit bedingtem Vorsatz verurteilt worden, sodass er letztendlich zwanzig Jahre absitzen musste. Diese Jahre im Gefängnis hatten Brent verändert – aus dem liebevollen, überfürsorglichen Bruder war ein abgebrühter Exknacki geworden, der in den Jahren seit seiner Verurteilung jedes Freundschaftsangebot von Finn ausgeschlagen hatte. Als man Brent vor drei Jahren entlassen hatte, war er ein Fremder mit kaltem Blick gewesen, der nichts mehr von der Unbeschwertheit seiner Jugend an sich hatte. Nach und nach hatte er alle aus seinem Leben vertrieben, denen er je etwas bedeutet hatte, und obwohl Finn jetzt seit fast zwei Jahren wieder in Bamfield war, hatten sie noch nicht einmal richtig miteinander geredet.
    Finn hatte vor, das zu ändern, aber zuerst brauchte er Antworten auf ein paar schwierige Fragen – von Thom, dem Mann, der so großzügig gewesen war, sich eines frechen, rotznäsigen Balgs anzunehmen, während er selbst noch unter dem Verlust seiner Familie gelitten hatte.
    Müde lächelte Thom ihn an. »War die Polizei schon bei dir?«
    Finn sah ihn sehr genau an. Thoms Gesicht hatte eine ungesunde Färbung, die auch von der Erschöpfung stammen konnte, die ledrige Haut war von tiefen Furchen durchzogen. Die letzten vierundzwanzig Stunden waren zermürbend gewesen.
    »Ich bin mit einer Ermittlerin runter zum Wrack getaucht, um ihr die Leiche zu zeigen. Die Polizei ist jetzt am Crow Point und sammelt Beweise. Ich habe den Beamten angeboten, dass sie hier essen können, wenn sie wollen. Dann können sie auch uns beide befragen.«
    »Gute Idee. Ich habe da noch eine Information, die ich ihnen geben wollte – über den Zeitpunkt von Biancas Verschwinden …«
    »Ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist, Thom.« Er verbarg seine Ungeduld nicht.
    Thom musste die Bewegungen jedes Dorfbewohners am Tag der Ermordung seiner Frau minutiös nachvollzogen

Weitere Kostenlose Bücher