Im Sog der Gefahr
einmal passierte. Und es war immer noch nicht genug.
»So wichtig bin ich nicht.«
Finn lachte. »Du hast es im Alleingang jahrelang geschafft, das organisierte Verbrechen von Bamfield fernzuhalten.«
Wieder schüttelte Thom den Kopf. »Ich kann die Polizei nicht anlügen. Was, wenn sie deshalb den Mord an Bianca nicht aufklären können? Weil jemand eine kleine Notlüge erzählt hat, von der niemand glaubte, dass sie irgendwem schaden könnte?«
»Sie können den Mord an Bianca nicht aufklären, weil er dreißig Jahre zurückliegt und niemand irgendwas gesehen hat. Sie ist allein im Wald von einem Irren mit einem Hammer erwischt worden.« Warum konnte er das Thema nicht einfach ruhen lassen? Es war entsetzlich und furchtbar, aber warum konnte er es nicht hinter sich lassen und weitermachen?
Aber es war das Einzige, was für Thom wichtig war.
»Damals war die Rechtsmedizin noch nicht so weit wie heute.« Beharrlich kramte der Mann eines seiner vielen wiederkehrenden Argumente hervor.
Ihm blieb nur eine Möglichkeit, und Finn hasste sich selbst dafür. »Hör mir zu. Wenn du den Bullen sagst, dass dein Tauchermesser die Mordwaffe ist, gehst du in den Knast. Und wer wird dann nach Biancas Mörder suchen? Die RCMP ?«
Thoms Gesichtszüge verhärteten sich. »Die hat schon lange aufgegeben.«
»Genau. Dann wird Bianca von allen vergessen sein.« Finn packte seinen Freund am Arm, er tat das hier nur zu seinem Besten. »Behalten wir es für uns, und finden wir erst heraus, wie und warum jemand dein Messer gestohlen hat, bevor wir der Polizei davon erzählen, okay?«
»Du hast recht. Wir wissen ja, dass wir ihn nicht umgebracht haben.« Der alte Mann nickte energisch. »Ich werde so tun, als wüsste ich von nichts. Die Leute sind sowieso fest davon überzeugt, dass ich keine Ahnung habe, wovon ich rede.« In seinen müden, grauen Augen lag ein selbstironisches Funkeln. Thom Edgefield war ein guter Kerl, aber es gab keinen Zweifel daran, dass er auch Anwandlungen von Wahnsinn zeigte.
»Lass uns das einfach unter Verschluss halten, ja? Versuchen wir uns so zu verhalten, als wäre keiner von uns am Arsch.«
Es klopfte, und im nächsten Augenblick steckte Sergeant Holly Rudd den Kopf durch die Tür. »Kann ich reinkommen?«
Als Thom sie sah, fiel er in Ohnmacht.
3
»Herrje. Haben Sie immer so eine Wirkung auf die Leute?«
»Ein paar habe ich schon umgehauen, aber … nein, normalerweise werden sie nicht bewusstlos.« Das hatte ihr gerade noch gefehlt.
Finn beugte sich über den außer Gefecht gesetzten Mann und prüfte dessen Puls.
»Ist er okay?«
»Ich weiß es nicht. Der Puls ist kräftig, die Atmung regelmäßig. Keine bekannten Herzprobleme. Seine Gesichtsfarbe sieht nicht so gut aus, aber wir waren beide die ganze Nacht wach, also könnte er einfach müde sein. Ich glaube, er kommt zu sich.« Er richtete sich ein Stück auf und rief: »Gladys!«
»Die Sekretärin? Die ist nicht mehr da.« Holly reckte den Hals, um in das leere Büro sehen zu können.
Er holte sein Handy aus der Tasche. »Sie gehen jetzt wohl besser. Ich lasse einen Arzt herkommen.«
Ihr fiel auf, wie beschützend er über dem Mann hockte. Oh Mann, wie falsch sie ihn doch eingeschätzt hatte. Eine Woge der Erleichterung überkam sie. »Wie lange sind Sie beide schon zusammen?«
»Ich bin vor ein paar Jahren nach Bamfield zurückgekommen, um hier zu arbeiten.« Einen Augenblick lang hielt er inne, sah sie mit geweiteten Pupillen an. Dann verzogen sich seine Lippen zu einem gereizten Lächeln. »Sie halten ihn und mich für …«
»Schwul?« Ihre Stimme brach.
»Im Ernst?« Als er den Blick an ihrem Körper hinabwandern ließ, wurde ihr plötzlich ganz heiß. Blut schoss ihr in die Wangen. »Glauben Sie das wirklich?«
»Tja, Sie machen ein Gewese um ihn wie eine alte Jungfer, also dachte ich …«
»
Pah
. Alte Jungfer?« Seine leuchtenden Augen sahen wie blaue Tinte aus. »Tja, falsch gedacht, Sherlock. Er ist ein Freund, und ich sorge mich um meine Freunde.«
Holly kam sich auf zu vielen Ebenen dämlich vor, dass sie nicht einmal daran denken mochte. Außerdem fühlte sie sich latent bedroht, obwohl er sich keinen Zentimeter bewegt hatte. Etwas an seiner kraftvollen Figur und seinen kontrollierten Bewegungen suggerierte, dass er in jeder Situation die Oberhand behalten würde. Dank ihres Schwarzgurtes in Aikido und als Boxchampion in ihrer Gewichtsklasse hatte sie keine große Angst vor ihm. Sie wusste, dass er sie verletzen
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