Im Sog der Sinnlichkeit
die Kurtisanen, Mätressen und Dirnen in der Obhut einer diskreten schönen Bordellbesitzerin wie Mrs Cadbury, in deren elegantem Etablissement jeder Luxus geboten wurde, angefangen von den Kristalllüstern bis zum besten Champagner. Wenn die Mädchen weniger Glück hatten, lebten sie unter der Fuchtel einer bösartigen alten Vettel, die ein strenges Regiment führte.
Schließlich gab es natürlich auch noch die zahllosen Straßenmädchen, die Benedick aber tunlichst mied, um sich nicht mit einer Geschlechtskrankheit anzustecken. Dennoch bot sich ihm in den drei Kategorien eine reiche Auswahl, die er bis zum Überdruss auszukosten gedachte.
Violet Highstreet sollte der Anfang sein. Er war scharf wie ein Jüngling in vollem Saft, und sie hätte wenig Mühe, ihm die süßen Wonnen der Wollust zu verschaffen.
Er ließ sich in einen tiefen Ledersessel in der Bibliothek fallen, streckte die langen Beine von sich und erwartete ihr Kommen.
Lady Melisande Carstairs, Witwe des verstorbenen Sir Thomas Carstairs, von der empörten vornehmen Gesellschaft auch „Charity“ Carstairs genannt, blickte stirnrunzelnd von ihrem zierlichen Louis-quinze-Schreibtisch auf. Ein großer Tintenfleck prangte auf dem Brief, den sie gerade schrieb, auch ihre Finger waren mit Tinte bekleckst, was ihr nicht neu war. Da sie ständig Bittschriften an das Oberhaus oder das Unterhaus verfasste, die in schöner Regelmäßigkeit ignoriert wurden, waren ihr die tintenbefleckten Finger zur Gewohnheit geworden. Aber wozu gab es Handschuhe?
Etwas ließ sie aufhorchen. Sie hätte schwören können, auf der Treppe Schritte gehört zu haben. Aber niemand steckte den Kopf zur Tür herein, um mit ihr zu reden. Die Zahl der Bewohnerinnen von Carstairs House, besser bekannt als „Taubenschlag“, belief sich derzeit auf zwanzig gefallene Mädchen, auf Abwege geratene, in den Augen der Gesellschaft geächtete, verruchte Frauen, die sich ihr Geld auf der Straße oder in Freudenhäusern verdient hatten. Und alle hatten sich von den Fesseln ihres erniedrigenden Gewerbes befreit, bei Melisande Unterschlupf gefunden und bemühten sich, einen ordentlichen Beruf zu erlernen, um als Hausmädchen, Schneiderin oder Köchin Arbeit zu finden. Manche strebten auch nach höheren Zielen, um als Schreibkraft in einem Kontor, als Erzieherin oder Gesellschafterin unterzukommen.
Eine Schneiderin oder Hutmacherin erhielt zwar deutlich weniger Lohn als eine Hure, die für Freier in dunklen Gassen die Röcke hob. Aber Melisande war eifrig darum bemüht, den Frauen gute Referenzen auszustellen und sie in Haushalten unterzubringen, wo sie wenigstens ein Dach über dem Kopf hatten, regelmäßig zu essen bekamen und vielleicht mit etwas Glück eines Tages heiraten würden.
Emma Cadbury, ihre Vertreterin, eine praktisch veranlagte Frau, die alles erreichte, was sie sich vorgenommen hatte, würde es möglicherweise sogar zur Erzieherin bringen. Eventuell in einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie, bei Leuten, die es durch Tüchtigkeit und Fleiß zu etwas gebracht hatten und sich eine gebildete Frau wünschten – ohne in ihrer Vergangenheit herumzustochern. Die ihren unbeholfenen Töchtern feine Manieren beibrachte, damit sie von der vornehmen Gesellschaft akzeptiert wurden. Melisande würde Emma allerdings nur schweren Herzens gehen lassen. Mit zweiunddreißig war Emma zwar fast so alt wie Melisande, sie war ihr jedoch an Lebensklugheit und Erfahrung überlegen. Und Melisande wandte sich in allen schwierigen Belangen um Rat an ihre Vertraute. Sie hörte sogar auf Emma, wenn sie ihr davon abriet, jedes bedauernswerte Geschöpf von der Straße aufzulesen, von denen manche hoffnungslos verloren waren und mit ihrem schlechten Einfluss auf die anderen Mädchen nur den Erfolg ihrer Bemühungen gefährden würden.
Violet Highstreet war ein Grenzfall, der ihr Sorge bereitete. Als Emma ihr Etablissement geschlossen hatte, war die ausnehmend schöne Violet mit ihr gegangen, doch nur, weil sie darin die einfachste Lösung sah. Sie war weit davon entfernt, geistig eine Leuchte zu sein, und sie hatte nicht das geringste Interesse daran, sich einen anderen Broterwerb zu suchen.
„Violet braucht einen Ehemann“, hatte Emma eines Abends beim Tee erklärt. Die Mädchen schliefen bereits in ihren Schlafsälen, und Melisande und Emma besprachen wieder einmal die Probleme und Nöte ihrer Schützlinge. „Sie hat noch keinen einzigen Tag in ihrem Leben gearbeitet und fünf Daumen an jeder Hand. Sie
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