Im Sog der Sinnlichkeit
kränkelnden Sir Thomas Carstairs, einem unleidlichen Zeitgenossen; ihre Witwenschaft und ihre unermüdliche Wohltätigkeit, die den meisten Leuten ein Dorn im Auge war. Sie war von vornehmer Herkunft aus einem alten, längst verarmten Adelsgeschlecht in Yorkshire. Ihr Gesellschaftsdebüt lag mehr als zehn Jahre zurück, also dürfte sie um die dreißig sein; sie hatte kurz darauf den deutlich älteren Sir Thomas geheiratet und ihn, obwohl er ein unangenehmer und cholerischer Nörgler gewesen war, in seinen letzten Lebensjahren aufopfernd gepflegt. Nach seinem Tod war sie als wohlhabende Witwe nach London zurückgekehrt, allerdings nicht, um sich in lange entbehrte Vergnügungen zu stürzen und sich eine Reihe von Liebhabern zu nehmen. Stattdessen setzte sie ihr aufopferndes Leben fort, mied gesellschaftliche Veranstaltungen und widmete sich mit Feuereifer ihrer Mildtätigkeit.
Ihren momentanen Kreuzzug hatte sie beinahe zufällig begonnen, wie ihm sein alter Freund Harry Merton bei zwei Flaschen Rotwein berichtete, als ein betrunkenes Straßenmädchen von ihrer Karosse angefahren wurde. Seit diesem Unfall sammelte sie gefallene Mädchen wie andere Leute chinesisches Porzellan, nahm sie in ihrem Stadthaus auf, brachte ihnen Lesen und Schreiben bei und bereitete sie auf einen rechtschaffenen Beruf vor. Damit hatte sie es sich mit der vornehmen Gesellschaft gründlich verdorben, was sie nicht im Geringsten zu stören schien. Die einzigen Gelegenheiten, in denen sie sich in der noblen Welt blicken ließ, waren Besuche in der Oper, im Konzert und im Theater – selbst eine Heilige konnte nicht auf jedes Vergnügen verzichten, und Lady Carstairs war offenbar eine große Musikliebhaberin, interessierte sich allerdings kaum für Männer.
„Was ihr nicht zu verdenken ist“, hatte Harry hinzugefügt. „Der alte Sir Thomas war ein solches Ekel, das es auch der duldsamsten Frau den Geschmack an Männern für den Rest ihres Lebens verleiden musste.“ Er hatte sein Glas geleert und winkte dem Kellner, eine dritte Flasche zu bringen. „Dass du gleich an deinem ersten Tag in der Stadt mit ihr zusammengetroffen bist, könnte ein Zeichen sein.“
Harry war ein gutmütiger Kerl, nicht mit hoher Intelligenz gesegnet und obendrein lächerlich abergläubisch. „Eher ein Zeichen, dass ich zu lange abwesend war.“ Benedick war zu müde, um sich über Harrys dümmliche Vermutung zu ärgern.
„Na ja, es war eben ein seltsamer Zufall, nicht wahr? Du bist wahrlich vom Pech verfolgt, wenn es um Frauen geht.“
„Um Frauen mache ich mir die geringsten Sorgen“, erwiderte Benedick und ließ sich nachschenken. „Aber um Brandon.“
„Was hat der Filou denn nun schon wieder angestellt?“, fragte Lord Petersham und löste sich aus seinen weinseligen Träumereien. „Ich mochte Ihren jüngsten Bruder schon immer, Rohan. Mehr Mut als Verstand, ein schneidiger Bursche, tapfer bis zum Äußersten. Grässlich, was dieser Krieg ihm angetan hat.“
„Grässlich, was jeder Krieg jedem Mann antut“, sagte Benedick. Reine Ketzerei in diesen Zeiten des sich ausdehnenden Empires. „Aber Brandon war seit jeher ein Hitzkopf, der sich bedenkenlos ins Abenteuer stürzte.“ Genau aus diesem Grund war Brandon so schwer verwundet worden. Sein Bataillon lag unter Beschuss, und er stürmte los, um seine verwundeten Kameraden aus der Kampfzone zu retten, und war dabei beinahe von einer Granate zerfetzt worden.
„Ich denke nicht, dass du dir um Brandon große Sorgen machen musst“, erklärte Harry mit schwerer Stimme. „Er fängt sich wieder. Am besten, du lässt ihn in Frieden und stellst ihm keine lästigen Fragen.“
Benedick zog warnend eine Braue hoch, aber Harry war zu betrunken, um es zu bemerken. Es gab nur wenig, was er tun konnte, bis Brandon bereit war, mit ihm zu reden. Bis jetzt hatte er sich strikt geweigert, irgendjemandem Zugang zu seiner inneren Hölle zu gewähren, in die er sich verkrochen hatte, seit er vor sechs Monaten vom afghanischen Schlachtfeld zurückgekehrt war.
„Sagt mir lieber, wo ich das beste Etablissement für Damengesellschaft finde.“ Benedick wollte das Thema wechseln, da er seinen seelisch zerrütteten Bruder nicht länger zum Gesprächsstoff betrunkener Aristokraten machen wollte. „Wie ich höre, hat Emma Cadbury ihr Haus geschlossen.“
„Ja, sie wohnt bei Lady Carstairs“, erklärte Lord Petersham traurig. „Und das White Pearl gibt es nicht mehr. So bedauerlich es ist, viele der besten Huren
Weitere Kostenlose Bücher