Im Sommer sterben (German Edition)
ein gutes Gefühl. Alles lief jetzt auf Hochtouren. Er kannte die Hektik, die typischerweise nach einem Mord ausbrach. Es war wie ein elektromagnetisches Knistern, das den trägen Polizeiapparat auflud und zum Leuchten brachte.
Mit der hellgrauen Hose, dem frischen hellblauen Hemd, das er ohne Krawatte trug, und der Sonnenbrille sah er aus wie ein italienischer Tourist und nicht wie der Leiter der Mordkommission.
Vielleicht lag es aber einfach nur an der Stadt, in der er arbeitete. In Florenz oder Rom wäre er als Kommissar, vielleicht sogar als Bankdirektor durchgegangen. Hier in Zürich, in der Metropole des Geldes, trugen Bankiers auch im Sommer dunkle Anzüge. Sie taten es mehr aus Überzeugung denn aus Eitelkeit.
Die Kaffeebar in der St. Anna-Straße hatte die Stühle und Tische bereits ins Freie gestellt. Eschenbach setzte sich, streckte die Beine aus und bestellte einen Espresso.
Eine knappe Stunde später, als der Kommissar die Stufen zum Präsidium emporschritt, hatte er sich bereits ein Bild gemacht von dem, was auf ihn zukommen würde.
Von den Beamten am Eingang wurde er freundlich gegrüßt; sie standen mit ausgebreiteten Armen da und versuchten die Kamerateams, Fotografen und Journalisten im Zaum zu halten. Es blitzte und hagelte Fragen. Eschenbach quittierte mit ernster Miene. »Pressekonferenz ist um halb zehn«, rief er. Dann verschwand er im Innern des Präsidiums.
Im dritten Stock herrschte ein heilloses Durcheinander. Auf sämtlichen Leitungen kamen Telefonate herein, Beamte liefen in ungewohnter Eile durch das mit Stellwänden unterteilte Großraumbüro. Eine Skizze des Tatorts hing an einer großen Pinnwand, überall Pappbecher, aus denen Kaffee getrunken wurde.
Mitten in diesem Chaos stand Rosa Mazzoleni. Sie hatte wache, dunkle Augen, eine kräftige Statur und war schon seit über zehn Jahren Eschenbachs Sekretärin. Eine Lesebrille baumelte an einer Goldkette um ihren Hals, und ihr kurzes, schwarzes Haar glänzte. Rosa genoss diese Hektik; es erinnerte sie an ihre Heimatstadt Neapel – an den Straßenverkehr dort und an die Art, wie man südlich der Alpen Geschäfte erledigte.
Als der Kommissar in den dritten Stock kam, machte seine Sekretärin erst gar keine Anstalten, ihn zu begrüßen. Sie zog eine Grimasse, schüttelte ihre rechte Hand, als hätte sie gerade ein viel zu scharfes Gericht gekostet, und deutete mit dem Zeigefinger in Richtung seines Büros. »Sie ist bei Ihnen … ist einfach reingegangen. Jetzt telefoniert sie schon seit einer halben Stunde.«
Durch den Spalt seiner angelehnten Bürotür vernahm Eschenbach die Stimme von Elisabeth Kobler.
»Sie verstehen doch, dass wir so kurz nach der Tat noch keine Aussage über den möglichen Täter machen können.«
Stille.
»Nein, haben wir nicht. Um halb zehn Uhr ist Pressekonferenz. Fertig jetzt«, war der harsche Schlusskommentar seiner Chefin.
Eschenbach öffnete die Tür zu seinem Büro. Sofort nahm Kobler ihre Füße vom Pult und wollte sie wieder in ihre dunkelbraunen College-Schuhe stecken.
»Sie können Ihre Schuhe das nächste Mal ruhig anlassen«, sagte er und grinste.
»Diese informationsgeilen Pressefuzzis!« Kobler war gereizt. »Was soll das, Eschenbach? Sie können mich hier doch nicht hängen lassen. Seit halb acht läutet es Sturm. Ich habe noch keinen Bericht gesehen … und Sie kommen erst jetzt?«
»Eigentlich gibt es noch keine Resultate. Erschossen, möglicherweise mit einem Langdistanzgewehr. Entweder so ein irrer Sniper oder ein Profi.«
»Wie der in Washington, D. C., der dreizehn Personen erschoss? Sie meinen, wir haben auch so einen?«
»Bis jetzt haben wir nur einen Toten. Ich gehe im Moment davon aus, dass es dabei bleibt.«
»Und jetzt, was tun wir?«, fragte Elisabeth Kobler, sichtlich erleichtert, dass keine wichtigen Erkenntnisse vorlagen, von denen sie nichts wusste.
»Dr. Salvisberg schaut sich die Leiche an. Ich denke, dass wir bis heute Mittag mehr wissen. Dann möchte ich mit ihm und einem Golfpro eine Tatnachstellung machen.«
»Mit einem Golf-was?« Kobler hob die Augenbrauen.
»Mit einem Professional … einem Golflehrer.«
»Ich spiele kein Golf.« Sie stand auf.
»Ich auch nicht«, sagte er und reichte seiner Chefin das Jackett, das sie auf einen der Stühle gelegt hatte.
Sie gingen wortlos durch den Korridor und die Treppe hinunter, wo im großen Besprechungszimmer eine hungrige Schar von Medienleuten wartete.
Die Konferenz lief besser als erwartet.
Kobler hielt
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