Im Sommer sterben (German Edition)
mich aufmuntern, dabei bin ich es, der sie am Ende trösten muss. Manchmal bin ich sogar froh, wenn sie wieder gegangen sind und ich zurück in meine Zelle kann. Wenn man alt wird, kommt man an den Punkt, wo alles gesagt ist – auch das Ungesagte.
In zwei Tagen ist Weihnachten, und ich versuche schon seit einer Woche Herrn Donat In-Albon zu bestechen, damit er mir eine Kerze besorgt (strengstens verboten – Brandgefahr!). Ich glaube, ich bin der einzige Christ hier im Haus – die Angestellten einmal ausgeschlossen.
In-Albon ist fünfunddreißig und mein Aufseher (er besteht auf dieser Bezeichnung) – ich nenne ihn meinen jungen Werther, was ihn maßlos ärgert. Wärter gebe es nur im Zoo (worauf ich immer erwidere, dass ich dort gerne das Elefantengehege bezöge). Seit ich eine Kerze will, bin ich wieder anständig mit ihm (humorlos), und wenn’s klappt, schenke ich ihm Goethes Büchlein und zwei Tickets für den Zirkus Conelli (dorthin ging ich oft mit Doris an Weihnachten). Wenn nicht, dann gibt es Goethe ohne die Tickets ( Götz von Berlichingen ).
Die Wände sind voll gekritzelt mit allerlei dummem Zeug (Sprachen, die ich überhaupt nicht kenne). Ich dachte immer, das wäre nur im Film so. Kürzlich ertappte ich mich dabei, selbst nach einem geeigneten Spruch zu suchen. Vielleicht etwas von Oscar Wilde. Ich bin mir noch nicht schlüssig.
Mit freundlichem Gruß
Johannes Bettlach
Eschenbach nahm die losen Blätter und faltete sie zweimal, exakt entlang der vorhandenen Falze. Genau so, wie sie gefaltet waren, als man sie ihm am Morgen gebracht hatte; zusammen mit der Nachricht, dass Johannes Bettlach tot sei.
Im Bericht des Gefängnisarztes würde später nachzulesen sein, dass er in der Nacht auf den vierundzwanzigsten Dezember gestorben war. Vermutlich gegen sechs Uhr morgens und ohne Einwirkung äußerer Gewalt.
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