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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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der Wirtschaft. Das Außenministerium wird hier Abteilungen haben. Nicht am Ende von Europa. Am Anfang. In der Mitte.«
    Der Graf raucht zu viel. Er beobachtet den Raum durch seine getönte Brille, die das Licht filtert. Menschen bewegen sich hinterm Zigarettenrauch. Die Vorberichte laufen. Ohne Ton. Man sieht die Kämpfer in den Kabinen sitzen. Der Ring ist leer. Er hört leise Musik, lässt seine Augen über die Wände wandern, auf der Suche nach den Lautsprechern. Eine kleine Diskokugel dreht sich direkt über der Bar und streut bunte Sterne und Punkte auf die Haut der Frau, auf seine Hände, die abwechselnd die Zigaretten halten, links rechts, blinkendes Licht auf den Gläsern und Flaschen. Mario, der Mann mit dem Puff in der Stadt und der Mann mit den Puffs und Anteilen entlang der Grenze, steht neben ihm an der Bar, blickt in die Farben auf den Brillengläsern des Grafen und redet dann leise direkt in sein Ohr. »Wenn der Bulle nachher kommt, lass dich nicht täuschen. Er denkt, er spielt die Karten, doch wir spielen sie ihm zu.« Eine Serviette liegt vor ihm, und Mario schreibt mit einem Kugelschreiber ein Wort auf die Serviette. Einen Großbuchstaben, ein Bindestrich, und dann ein Wort. V-Mann. Er zerknüllt die Serviette und steckt sie in seine Hosentasche. »Ich muss gleich mal pinkeln. Und dann kommt das ins Klo. Nur damit du weißt, dass ich offen bin zu dir. Die Sache ist groß. Und lass dich nicht täuschen, er redet nicht nur. Was denkst du, warum die Konkurrenz hier verschwindet. Und ich da bin. Alles geht zusammen, eine Versicherung wie hier kriegst du nirgends.«
    »Ich weiß nicht, ob meinen Partnern die Serviette gefällt.«
    »Vergiss nicht: Wir sind deine Partner. Und der Bulle ist unser Mann.«
    »Dass du mich nicht falsch verstehst, alles was heute und morgen …«
    »Wir wissen, dass du ein diskreter und ehrlicher Mann bist, dass du deine Geschäfte immer sauber über die Tribüne bringst. Und was heißt das schon, was ich dir sage … Heidi! Mach uns mal noch zwei Gin Tonic.«
    »Was meinst du, wer gewinnt heute?«
    »Klare Sache.« Mario nimmt den Gin Tonic, den das Mädchen wieder in Rekordzeit fertig gemacht hat, vom Tresen und reicht ihm das Glas. Die Eiswürfel klimpern, und der Graf spürt, wie es langsam kalt wird in seiner Hand.
    Die Körper lehnen aneinander. Wanken vor, wanken zurück. Die Köpfe verschmelzen, die Beine und der Rumpf biegen sich ineinander wie flüssiges Plastik, der Mundschutz rot und blau in einem einzigen riesigen Mund, die Schläge dröhnen durch den Raum, reißen den Körper wieder auseinander, dritte Runde, vierte Runde, damals, in der anderen Zeit, war Tyson schneller als das Licht, jetzt bohren sich seine Fäuste wie in Zeitlupe durch das Glas und in den Raum. Das Zimmer ist voll jetzt, jedes Sofa und jeder Sessel besetzt, Männer und ein paar Frauen stehen zwischen den Sitzelementen und Tischen. Halbnackte Nummerngirls kommen vom Flur, drängen sich mit den Schildern durch die Boxsportfreunde, vorbei an den Körpern, der Bulle sitzt an der Wand auf einem Stuhl, für sich allein. Sein Zucken direkt an der Tapete. Von wegen deutsche Botschaft, denkt der Graf, ein paar Kanacken sind auch gekommen. Rumänen, Russen, soweit er das einschätzen kann. Den Bullen beachtet keiner. Und nach der siebten Runde ist er plötzlich weg, an der Tapete ein weißer Fleck. Alles klar, Herr Kommissar?
    Von irgendwo hört er noch Musik in der Wohnung, seltsame Musik, Gesang, klingt wie Volksliedgut, das muss aus einem der anderen Zimmer kommen. Ziemlich leise. Zwei, drei Zuhälter erkennt er sofort als Zuhälter: Der eine trägt eine goldene Kette mit einem goldenen Schriftzug PIMP. (»Zuhälter im Trainingsanzug mit Goldkette, ›Der Pimp an der Grenze‹, Szene 5, Klappe 1!«) Der Graf legt seine Hände ineinander. Kleine funkelnde Steine auf den Buchstaben. Las Vegas. (»Audioeinspieler mit Hintergrund-Lachen, immer wenn der Typ auftaucht!«) So wie er die Russen und Rumänen erkennt. Zwei, drei Anzugtypen sind auch da, leger mit gelockertem Schlips, Bismarckknoten, bei denen sitzen oder stehen die Mädels, einige haben lange plüschige Hasenohren, Playboybunnies, Wirtschaft, würde er sagen, oder eher Stadtpolitik. Oder Luden. Oder weiß der Teufel was auch immer. Sein Gespür ist weg, und er spürt nur, dass ihm schwindelt. Blödsinn, ist die Müdigkeit von der Reise oder die Müdigkeitsblocker oder was auch immer. Die Kanacken und Luden hätte er nicht reingelassen.

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