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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Oberst halten soll. Als er später seinen Bruder anruft, sagt der nur: »Lass die Finger aus der Sache. Eine Dependance Ost reicht.«
    Alles legal, Brüderchen, alles legal. Wenn die Karten neu gemischt werden, brauchst du eine gute Hand. Naiv? Wir sind nicht naiv. Das Ding wird sauber, denn das ist die Zukunft. Jetzt schlagen sie sich noch die Schädel zu Brei, in ein paar Jahren sieht hier alles anders aus. Wenn das Chaos vorbei ist, wird das Geld fließen. Und dort, wo alles sauber ist, wird die Rendite am größten. Wobei man das nie weiß, wegen der Sauberkeit. Das weißt du doch selbst. Das Geschäft ist hart, und wir sind keine Samariter. Da müssen wir uns nicht belügen. Du weißt genau, dass ich deiner Meinung bin, wo alle zufrieden sind, ist auch die Geldbörse zufrieden . Am Ende. Aber in erster Linie geht es ums Geschäft. Nur ums Geschäft. Erstmal. Die Informationen sind zu gut, die Kontakte sind zu gut. Die Versicherungen scheinen seriös zu sein. Der Bulle. Der Oberst. Die Russen halten still. Die Konkurrenz ist im Griff. Die Politik ist daran interessiert, dass sich die Reihen lichten und dass im Licht gearbeitet wird. Saubere Steuergelder. In ein paar Jahren werden sich die Gesetze ändern. Die Liberalisierung des Sex-Marktes steht kurz bevor. Die richtigen Leute sind auf unserer Seite.
    »Zu undurchsichtig. Lass die Finger davon.«
    »Ich bin seit dreißig Jahren im Geschäft.«
    »Das ist was anderes. Was wissen wir schon von den Russen, Ex-KGB, mächtige Syndikate, die verschiffen die Weiber überallhin. Von überallher. Kosovo. Baltikum. Warentermingeschäfte, du verstehst. Die Märkte werden überrannt. Damit wollten wir doch nie was zu tun haben. Bleib weg von der Grenze.«
    »Man muss schauen. Man muss die Chancen überprüfen. Sie suchen Leute von außerhalb, Investitionen von sauberen Investoren. Es geht nur um Prozente. Das Risiko ist nicht zu hoch. Ich habe den Kontakt und die Information von einem alten Russen, den ich seit fast zwanzig Jahren kenne! Nichts ist fix. Warum soll man nicht schauen, wenn die Firma verdienen kann?«
    »Dann schau. Du hast ja meistens die richtige Nase.«
    Er hat seit Jahren nicht mehr mit seinem Bruder geredet. Der Kleine ist sesshaft geworden, wie es scheint. Dabei hat er gehofft, dass er mit einsteigt. Wollte am Telefon vorfühlen und dann hinfahren. Bielefeld. Wo er lange nicht mehr war. Er hätte ihn gleich besuchen sollen. Er vertraut den Leitungen nie. Die Stimmen werden zu Daten und Wellen und gleiten durch die Ämter und Umschaltstationen, Verteiler, werden aufgespalten in Nanoteilchen, elektrische Impulse im Äther, Zischen und Rauschen, Wetterleuchten durch den Himmel der Stimmen, wenn die Planeten in der exakt selben Position stehen wie vor Jahren schon einmal, kann man sich selbst anrufen, sie reden meist nur in Chiffren, über Autos und Waren und Geschäfte mit Aktien, Wertstoffe, Rohstoffe, Optionen, Ost, West, Süd, Nord, von den Grenzen ins Land und zurück. Europa wird sich ändern, glaub mir. Der ganze Markt wird sich ändern. Noch ist Polen nicht verloren. Er sitzt im Zug und schläft und träumt von dem Wald hinterm Haus, wie sie dort kleine Häuschen bauen aus Holz und Stein und Lehm. Fledermäuse hängen in den Bäumen.
    »Ich habe dir, verdammt nochmal, gesagt, du sollst nicht rauchen. Geht das nicht in deinen Kopf? Und willst du hier bumsen, bis das Kind kommt, oder was? Du setzt keinen Fuß mehr in meinen Laden, du blöde Kuh! Geh, verdammt nochmal, aufs Amt, wenn du pleite bist!«

    Der Neubaublock steht fast leer. Nur in wenigen Fenstern ist Licht. Zweitausenddrei werden die Gebäude abgerissen, wie fast alle Plattenbauten in der Grenzstadt. Sie stehen zu dritt im Fahrstuhl. Schimanski trägt jetzt eine blaue Bomberjacke und ein weißes Hemd und sieht wirklich ein bisschen aus wie einer aus der Forstwirtschaft. Das Deckenlicht flackert. Der Graf setzt seine getönte Brille auf. Sie sind in einem der beiden hohen schmalen Blocks, die ihm schon vorhin aufgefallen sind, als sie von den Fledermäusen kamen oder zu den Fledermäusen fuhren, genau weiß er es nicht mehr. In der vierzehnten Etage steigen sie aus. Sie laufen einen langen Gang entlang, der Oberst vorneweg. Die Türen links und rechts sind aus braunem Holz, das an vielen Stellen abgesplittert ist, zerkratzt ist, Worte und Buchstaben, die kleinen runden Spione in Kopfhöhe sehen trüb und blind aus, die Klingeln neben den Türen kleine graue Knöpfe auf der grauweißen Wand,

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