Im Stein
an einigen Türen noch Namensschilder, Schmidt, Lorkowsky, Janka, Meier, A. Weiß, G. Barth, der Oberst bleibt vor einer Tür am Endes des Flurs stehen. Der Graf hört leise Musik von drinnen. Der Oberst klingelt. Ein paarmal drückt er auf den Knopf. Vielleicht ein bestimmter Code, aber er hat auch schon unten geklingelt, und nur einmal.
Schimanski hat sie während der Fahrt mit seinem Totschlägertelefon angekündigt. »Ich bin’s. Fünf Minuten.«
Die Tür wird geöffnet. Ein Mann im schwarzen Sakko, unter dem er einen grauen Rollkragenpullover trägt. Gute Ware, die nicht zu seinem Gesicht passt. Der Oberst nickt ihm zu, sie geben sich die Hand, und der Typ winkt sie alle rein, schließt die Tür hinter ihnen. Der Oberst führt sie sofort in ein Zimmer. Der Graf hat kaum Zeit, den Flur zu mustern, Garderobenleiste mit ein, zwei Jacken dran, da drüben muss das Bad sein, drei weitere Türen, die zur Küche ist halboffen, und der Graf sieht einen Mann mit grüner Bomberjacke direkt hinterm Türspalt auf einem kleinen Hocker sitzen. Ein Melkschemel, denkt er noch, so ein Möbel hat er hier nicht erwartet. Und dass die Bomberjacken irgendwie eine Ost-Sache zu sein scheinen. Obwohl sie in der Stadt im Osten, wo er seine Dependance hat, langsam aus der Branche verschwinden.
Das Zimmer ist nicht besonders groß, wie ein Wohnzimmer in einer Wohnung eben. An der Wand eine Bar. Vier Barhocker davor. Eine junge Frau hinter der Bar, ein Regal mit Flaschen, ein großer Kühlschrank. Paar Teelichter auf der kleinen Theke, paar Teelichter auf den Tischen, niedrige Couchtische vor den Sitzgarnituren. Ein großer Fernseher direkt vor der Fensterfront.
Premiere läuft, die Vorberichte, ist das Axel Schulz? Auf den Sofas und Sesseln zählt er fünf Männer. Und zwei Frauen. Einer der Männer steht auf und kommt auf sie zu. Er hat schulterlange Haare und eine kurze dicke Schweinsnase. Trägt ein schwarzes weites Hemd von Hugo Boss. »Mario«, sagt er und reicht ihm die Hand. »Wir haben telefoniert.«
Der Graf blickt sich um und nickt und sagt: »Gemütlich habt ihr’s hier.«
»Ist nur für die Feierabendentspannung. Bisschen Boxen gucken, paar Bier trinken, paar gute Drinks, Freunde treffen. Willkommen an der Grenze.« Der Graf erkennt Reste von Aknenarben oder Pockennarben in seinem Gesicht. »Schön, dass du jetzt da bist. Wir haben ja einiges zu besprechen. Heidi, mach uns mal vier Bier!« Dann dreht er sich wieder zu ihm und sagt leise: »Nur deutsche Mädels hier, mal was anderes, unsere deutsche Botschaft sozusagen.«
»Ich hätte lieber einen Cognac oder einen Whisky.«
»Wie wär’s mit Gin Tonic? Heidi, mach uns mal vier Gin Tonic!«
Der Oberst schiebt die Barhocker zur Seite und stellt sich neben sie an die Theke. »Von unserem Mario hier habe ich dir ja schon erzählt. Wir haben alles im Griff entlang der Grenze, nicht wahr.« Er legt seinen Arm um die Schulter der Schweinsnase. Sein Schatten, Schimanski, geht zu einem der Sessel und setzt sich. »Wir hätten uns auch in meinem Laden treffen können«, sagt die Schweinsnase, »feiner Laden, feiner Club, hast du sicher schon von gehört, aber da ist jetzt Wochenendbetrieb. Und warte, bis du die Aussicht hier siehst. Nur im alten Oderturm hast du eine bessere Aussicht als hier. Und in den sind wir leider nicht reingekommen.«
»Müssen wir auch gar nicht«, sagt der Oberst, »viel zu große Immobilie, Geldschlucker, aber die vier anderen Türme …, na, das wirst du morgen alles sehen.«
»Vierzehn Uhr, der Besichtigungstermin steht!« Mario lacht und verteilt die vier Flaschen Bier und die vier Gin Tonic, die das Mädchen anscheinend in Rekordzeit fertig gemacht hat, auf der Theke.
»Ich habe schon einiges gesehen heute.« Der Graf nimmt sich ein Glas, die Eiswürfel klimpern. »Schöne kleine Stadt.«
Das Zucken des Mundwinkels, dieses Zucken, dieses immer wiederkehrende Zucken, bei dem Kriminalhauptkommissar, der später zu ihrer kleinen Runde stoßen wird, das zuckt auch Jahre später noch in seinem eigenen Mundwinkel nach, links, Herzseite, wenn er an all das zurückdenkt, und manchmal auch einfach so. Er sieht Zigarettenqualm und Staub in dem Licht des großen Fernsehers. Als hätte der Typ mal einen leichten Schlaganfall gehabt, denkt er, denn hinter und neben diesem Zucken ist eine Gesichtshälfte seltsam starr, wie festgefroren, nur der Mundwickel bewegt sich:
»Alle glauben an Tyson. Man nimmt kaum noch Wetten an auf ihn. Aber ich sage Ihnen,
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