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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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ich sage Ihnen das mit der Erfahrung und der Menschenkenntnis, die ich mir, und das soll jetzt nicht großspurig klingen, in all den Jahren, hier und hinter der Grenze und weit weg in Mütterchen Sowjetunion …«
    Was, verdammt nochmal, denkt der Graf, hat dieser Bulle bei den Russen gemacht? Aber er hat einiges gehört bei seinen Kontakten in Berlin, Hamburg und Frankfurt/Main. Von der Elitetruppe des Dezernat 1, die angeblich mit dem KGB zusammengearbeitet hat. Gerüchte. Legenden.
    »Und wissen Sie, da ist ein Faktor, ein wichtiger Faktor …, ich weiß nicht, ob Sie sich für den Boxsport so sehr interessieren wie ich …«
    »Schon. Ein wenig schon. Ich kannte früher den Prinzen von Homburg und Jürgen Blin, der mal gegen Ali …, ist aber schon lange her.«
    »Blin? Homburg? Das müssen Sie mir nachher erklären. In aller Ruhe. Worauf ich hinauswill, der Henry sagte mir vor paar Tagen, genaugenommen am letzten Donnerstag, also nicht den vergangenen, sondern den davor, da habe ich ihn nach dem Training zum Essen eingeladen, aber er muss ja aufpassen wegen der Kalorien, also da sagte der Henry, dass er glaubt, dass der alte Holyfield die richtige Taktik, die richtige Strategie und auch das Herz hat, den Willen, die Maschine, die da vor ihm steht, auszuschalten, verstehen Sie, denn darauf kommt es an …«
    »Es kommt auf vieles an.«
    »… das Gefängnis, wissen Sie, und damit kenne ich mich aus, das geht tiefer, viel tiefer, als man denkt, das ist ein Gift, das immer in seinen Adern sein wird, das sein Blut und sein Herz und seinen ganzen Körper und sein ganzes kleines Hirn und auch alles um ihn herum …«
    »Gift, sagen Sie. Wie lange hat denn Tyson …, ich kann mich erinnern, dass er Anfang der Neunziger …«
    »Drei Jahre. Und das ist der springende Punkt. Der Faktor. Dieses ganze dumme Gerede, dass das Gefängnis einen härter macht undsoweiter, es macht dich schwach. Ich will Ihnen jetzt nicht zu nahe treten, aber ich weiß ja …«
    »Sie wissen was ?«
    »Nun, Sie sind ein Mann der alten Schule, seriös, ein Geschäftsmann, ein Investor, deswegen treffen wir uns hier, und selbst wenn Sie …«
    »Sparen wir uns das. Alte Schule … Was soll das sein? Nur Märchen und Legenden. Sie sind anscheinend gut informiert.«
    »So wie Sie. Informationen sind alles. Auch wenn ich andere Gründe habe als Ihre Geschäftspartner. Mir geht es um Transparenz. Um Regulierung. Um Sauberkeit. Um einen sauberen, regulierten, seriösen Markt.«
    »Das sind gute Gründe, wie es scheint. Aber sicher nicht alle.«
    »Wir beide tragen ein gewisses Risiko. Früher hätten wir gesagt ›operative Informationsbeschaffung‹.«
    »Damit habe ich nichts zu tun. Ich vertrete Interessen. Und die Entscheidung liegt nicht allein bei mir.«
    »Und damit habe ich nichts zu tun. Wissen Sie, es ist ein guter Anfang für ein gutes Geschäft, wenn wir offen reden.« Sie trinken Gin Tonic, während der Ringsprecher den Kampf ankündigt, der jeden Moment beginnt. Ladies and Gentlemen, live from Las Vegas …, it isssss Showtime! »Wenn Sie auf Tyson wetten wollen, ich halte dagegen. Hier und jetzt.«
    »Nein. Ich glaube an die Chancen von Holyfield.«
    Er blickt auf den Bildschirm. Kann die Kämpfer kaum auseinanderhalten. Hat Tyson in den Achtzigern einmal kämpfen sehen, aber das war in einer anderen Zeit. Sie stehen sich gegenüber, dunkle Statuen, die Gesichter starr. Tausende Lichtblitze um sie herum. Schweiß läuft in Kurvenbahnen über ihre Gesichter. Die Tropfen schimmern in der Luft, wenn sie sich von der Haut lösen, kleine Projektile aus Salz auf ihren Wegen durch den Raum, die Sekunden ticken, wenn sie auf dem Ringboden aufschlagen, in Las Vegas klimpert das Geld in Zeitlupe aus den einarmigen Banditen. Let’s get it on.
    »Holyfield. Alte Schule. Sie sind ein kluger Mann. Ein Old-School-Boxer, wie die Amis sagen würden. Natürlich, alles kann passieren in so einem Kampf.«
    »Ein gewisses Risiko ist immer vorhanden.«
    »Aber es gibt Versicherungen. Deswegen sitzen wir hier. Haben Sie schon die Aussicht genossen?«
    »Ich habe einiges gesehen heute, ja.«
    »Lassen Sie sich nicht täuschen. Die Zeiten werden sich ändern. Sicher nicht heute. Vielleicht auch nicht morgen. Aber schneller, als hier manche denken.«
    »Davon gehen wir aus. Sonst wäre ich nicht hier.«
    »In einigen Jahren sind wir die Vorzeigestadt an der Grenze. Die Außenbefestigung von Berlin. Die deutsch-polnische Dependance der Politik und

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