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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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zieht zu über der Stadt. Dann sieht’s aus, als würde jemand in den Wolken wühlen. Im Zoo, nicht weit vom Zentralbahnhof entfernt, wird eine Giraffe plötzlich weiß, so dass sie von einer Schneegiraffe sprechen in der Zoosendung, die im Ersten kommt, die Schneegiraffe, das hat mit der Atmosphäre zu tun und dem Druck, so wie ein Mann auch plötzlich ergrauen kann über Nacht. Das Wasser in den Kanälen bewegt sich nicht und fängt an zu stinken. Seit Tagen schon. Und die Züge fahren bis elf in der Nacht im Stundentakt. Frankfurt/Main, Berlin, Hannover. Und ein Mann rennt durch die Bahnhofshalle, die große Treppe zu den Bahnsteigen, nimmt zwei Stufen mit einem Schritt, sind zwei Männer jetzt, die rennen, eine Frau schiebt vorsichtig ihren Kinderwagen an ihnen vorbei, klack klack, die Stufen nach unten in die große Bahnhofshalle aus Marmor und Glas, warum sie nicht den Fahrstuhl nimmt?, Tauben flattern auf, und draußen: Tausende müde Tauben im vertrockneten Gras; einer nach Berlin, einer nach Hannover-City. Keine Eile, sind noch zehn Minuten und fünfzehn Minuten. Die Mietwagen stehen an den Bahnhöfen bereit. Man nimmt die Deutsche Bahn und fährt erster Klasse. Weil das weniger auffällt. Man hätte ja auch mit dem Auto …, für und wider, immer wieder. Aber die Bullen gehen einem auf den Sack. Stau wegen der Pferdestaffel. Die nur Kleinvieh erwischt hat, aber darum geht’s hier nicht. Halten jeden an zurzeit, der mit größerem Kaliber unterwegs ist, hätte man einen Smart leihen sollen, aber Geschäfte müssen gemacht werden, Angebote überbracht, und atmosphärische Störungen knacken im Radio und in den Ohren. Mit 88 Meilen pro Stunde geht es zurück in der Zeit. An den Bahnsteigen ist es erstaunlich leer, Sommerzeit, Ferienzeit. Alle schon weg.
    Drei Straßen weiter, man kann den Zentralbahnhof nicht sehen, weil der große Quader des Hotels dazwischen liegt, dort, wo die Familien am Tag Richtung Zoo laufen, und nicht nur die Familien, weil der Zoo das Populärste ist, was es hier gibt in der Stadt, das liegt auch an dieser Fernsehsendung, »Tiger Tiger«, und der Eisgiraffe, und dort also ist das Wettbüro, wo es nur um Pferde geht, wo also die Jugos & Co. nicht ihre Hand drin haben, denn der Fußball macht am meisten Umsatz und Profit, wenn man mal die Automaten außen vor lässt, da gibt es einige Betreiber zwischen Deutschland und Babylon, und Pferde ist was für die Kleingeldzocker, was aber so auch nicht stimmt, der Fahrer nickt, der sich inzwischen drüben im Osten der Stadt hinter drei anderen Taxen eingereiht hat an seinem Stammhalteplatz, denn er kennt die großen Pferdewetter, die er früher noch, Jahr 1, Jahr 2, Jahr 3, auf die Bahn gefahren hat, wo es da noch so viele Rennen gab, von der Zone ganz zu schweigen, aber da hat er noch in der großen Druckerei gearbeitet, die jetzt, eingebettet zwischen den neuen Häusern des Zentrums, leer steht und verfällt, das tut ihm weh jedes Mal, wenn er dran vorbeifährt, 140 km/h, was für ein Quatsch, so beschleunigt er nur auf der Autobahn, wenn er jemanden zum Flughafen fährt. Das Zentrum der Stadt leuchtet blau, rosa, wenn es Abend wird . In den Villenvorstädten im Süden steht die Sonne am tiefsten.
    Dort, Richtung Gangway zum Zoo, zu den Tieren, rennen sie jetzt, die Meisterdiebe. Aber in die andere Richtung, also vom Zoo weg. Am grauen Beton des Hotels vorbei, die Fensterfront funkelt rot jetzt am Abend, die letzte Sonne, die Lichter der Stadt, eine Frau (30) steht an der Scheibe, presst beide Hände gegen das Glas und lässt sich von hinten ficken von einem Kerl, der noch das Hemd anhat und die Socken, und sie weiß nicht, über was sie nachdenken soll, ist das nicht asozial, Socken beim Ficken nicht auszuziehen, aber sie kann sich ja die Stadt angucken, fünfundzwanzigste Etage, da hat man ja mal eine Aussicht, der Sonnenuntergang macht sie etwas traurig, und sie spürt, wie der Typ in ihr rumfuhrwerkt.
    Und da sind sie schon außer Atem an der Kreuzung. Die Meisterdiebe. Quer über die Straße, zwischen den Autos. Da flattert das Geld aus den Taschen. War alles ein paar Tage oder Wochen vorher. Kanacken? Nee. Zombies. Und denen flattert das Geld aus den Taschen und den Plastikbeuteln. Der größte Bruch des Jahres. Alles geplant und bis auf die Sekunde getimed. Rein ins Wettbüro, Schreckschussknarre raus, rumschreien, Maske verrutscht, Gesicht klatschnass unter der Wolle bei dreiunddreißig Grad im Schatten, Geld in die

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