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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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die Straßenseite, läufst langsam auf den »24-Hours-Pet-Shop« zu. Keine Autos. Dieser Teil der Stadt scheint verlassen zu sein. Du drehst dich um, die hohen Fenster des Gentlemen’s Club im ersten Stock, eine kleine Treppe führt zu einer kleinen Tür, ein hellblaues Leuchten, du sitzt nicht an der Bar, du siehst nicht die Mädchen, die alle sehr japanisch aussehen, wie sie nackt tanzen, mit Gasmasken vor ihren Gesichtern, in gläsernen Käfigen (……………………..), Ming-Vase ist Ming-Vase , habt ihr früher gescherzt, Fidschi-Town, aber jetzt arbeiten nur noch wenige Asiatinnen in deinen Objekten (………… …………..), du bist dir nicht sicher, ob diese Informationen, die plötzlich auftauchen, stimmen. Dunkelheit. Du liegst. Es ist kalt. Schnee oder Eis bedeckt dich. Ein Geräusch, als würde jemand ein großes Schubfach aufziehen. Du liegst. Jemand beugt sich über dich und berührt mit einer silbernen Pinzette deine Augen. »Lass mich deine letzten Bilder sehen, großer Mann.«
    Wie eine Explosion dringt es durch deine Augenhäute, und du duckst dich, zuckst zusammen, stehst im endlosen Strom der Fahrzeuge, in der Mitte der großen Straße, läufst auf die Bäume mit den Lämpchen zu und bleibst vor dem »24-Hours-Pet-Shop« stehen. Käfige sind im Inneren des Ladens übereinandergestapelt. Stehen übereinandergestapelt im Schaufenster. Du erkennst Kaninchen und kleine Hunde hinter den Gitterstäben. Siehst Vögel und Glaskästen, in denen seltsame Reptilien hocken. Und ein Mann mit weißer Kittelschürze läuft zwischen den Käfigen und Kästen emsig hin und her. Hohe Käfige mit großen Papageien. Flache Glaskästen mit Ratten oder Mäusen. Ein junges Mädchen kommt aus der Tür, sie trägt eine kleine Gasmaske vorm Gesicht, deren Rüssel mit dem Atemschutzfilter ein weißes Kaninchen berührt, das sie an ihre Brust presst. Die dunklen Augen eines kleinen Hundes, den ein Mann an einer mit Glitzersteinen besetzten Leine hinter sich herzieht, die er wohl mit dem Hund in dem Laden gekauft hat. Der Hund stemmt die Vorderbeine in den Stein des Fußwegs. Du hockst dich hin und streckst deine Hand aus.
    Der Hund leckt etwas Schnee von deinen klammen kalten Fingern. Und du schiebst deine Hand unter seinen Körper. Spürst, wie er bebt und zittert, und du siehst die kleine Pfütze auf dem Stein. Der kurze Schwanz klemmt zwischen seinen Hinterbeinen. Nur das Wort »Gaijin« verstehst du, als der Mann dich anschreit. Und eigentlich schreit er dich nicht an. Er redet laut und mit Nachdruck und mit tiefer Stimme. Er beugt sich runter und greift nach dem kleinen Hund, welche Rasse das ist, kannst du nicht sagen. Die Leine verheddert sich um die Vorderbeine des Hundes, den der Mann jetzt, wie die Frau vorhin das sehr große und lange Kaninchen , an seine Brust drückt. Er trägt eine Jacke mit dem Aufdruck irgendeines Sportvereins. Wo ist dein Stock? Er liegt auf dem Gehsteig neben dir. Als du ihn aufhebst, siehst du, dass er nass geworden ist. Die Pisse des kleinen Hundes tropft von dem Holz.
    Der Hund blickt dich an. Die Augen weit aufgerissen. Er sitzt auf einem steinernen Sockel. Im Hof des Tempels. Du stehst vor dem Sockel, siehst das Fletschen der Vorderzähne. Schnee auf dem Kopf des Hundes wie weißes Haar. Lacht er, oder heult er den Himmel an voller Zorn? Der kräftige Oberkörper ruht auf den breiten Pfoten. Du stehst allein im Hof des Tempels. Gelbe Laternen leuchten im Inneren des Tempels, zu dem eine kleine Treppe führt. Hölzerne Pfeiler in diesem Portal, dahinter ein Raum, weitere schmale Säulen, Wände aus Holz und Papier, weit hinten erkennst du die großen Laternen. Weit weg scheint das dir. Hineingehen. Nur einen Moment ruhen. Es ist Nachmittag. Die Dämmerung liegt schon über den Bäumen.
    Bist du nicht in Hakone, diesem seltsamen Ort, an den sie dich geschickt haben aus deiner Stadt, auch im Hof eines Tempels gewesen, im Inneren eines Tempels sogar? Mit dem Mann, dessen Gast du warst. Der dir Tee bereitete in jahrhundertealten Gefäßen, den Tee in kleinere Gefäße goss, die nur ein wenig jünger waren. Der dir die Zeremonien erklärte, aber dein Körper und dein Hirn waren zu schwach, um alles aufzunehmen. Ein ewiger Kreislauf des Sichverbeugens. Und als du die Stäbchen im Reis stecken ließest, verstummte die Runde. Männer in dunklen Kimonos. So würdest du diese Gewänder nennen. Die Männer senkten die Köpfe. Und der Schatten deiner Stäbchen an der papiernen Wand. Wie die

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