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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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dich an. Silberne Augen, als lägen Münzen drauf. »Nein, ich bin nicht tot. Fast zu sterben ist manchmal kein Glück. Aber du musst doch zugeben, dass du es damals wusstest …«
    »Ich habe nichts gewusst. Verschwinde und lass mich in Ruhe, Steinmann.«
    »Und die Immobilien waren frei, als ich fast starb. Als dein großer Aufstieg begann.«
    Die Gassen kreuzen sich und verzweigen sich und verlieren sich im Dunkeln, um dann wieder aufzuflammen, Bar an Bar, Hotels, Strip-Bars, Karaoke-Bars, Love-Hotels, Massage, Blowjob-Salons, Manga-Tanga, grell erleuchtete Glasfronten, dunkelrot glühen die Fenster woanders, unter vielen der Zeichen erkennst du die englischen Worte, Wände aus Glas, Schulmädchen in Uniform im Schaufenster, kleine Frauen stehen dichtgedrängt in einer dunklen Seitengasse, die Glutpunkte der Zigaretten, es werde Licht, du bist im Inneren der großen Maschine, und weiter, immer weiter läufst du und weißt nicht, wohin, und weißt nicht, warum, der Steinmann ist verschwunden, die Stimme hat keine anderen Stimmen mitgebracht von dort , Männer in Anzügen reden auf dich ein, Englisch, du weißt, dass es Aufreißer sind, aber du willst nicht in diese Häuser eintreten, du willst nicht in diesen Bars sitzen, und sitzt dann doch in einer Bar, an einem Tisch, eine Frau, die nur einen Slip trägt, tanzt unbeholfen an einer Stange auf einem Podest, du blickst auf die schäbige Tapete an der Wand, Fächermuster, und immer lauter dringt die Musik in dich, nimmt dir die Angst, dass da wieder jemand hinter dir oder neben dir sitzen wird, der da nicht sein sollte, nicht sein kann, die Frau im Slip tanzt, eine andere Frau sitzt neben dir und redet mit dir, du versuchst zu begreifen, versuchst, dich zu erinnern an deine Wege in den letzten Tagen oder Wochen, du siehst den Stock, der am Tisch lehnt und der dich beschützen soll, das hat der Mann zu dir gesagt, und davor oder danach hast du in einem Becken mit heißem Wasser gesessen, das riecht nach Schwefel, und du legst deine Hand im Wasser auf dein Bein und spürst deine andere Hand auf deinem anderen Bein, du atmest auf die Wasseroberfläche, und du siehst die kleinen Wellen vor deinem Gesicht, vor deinem Atem, zwischen dem Dampf, ein halbdunkler Raum, aber als du den Kopf zurücklegst, siehst du den klaren Nachthimmel über dir und die Sterne, This is Hakone, Grauhaar-San, where the hot water comes from the heart of the earth and goes into your mind and goes into your body , »Mein Name ist Kraushaar«, sagst du, und die junge Frau lächelt und nippt an ihrem Drink. Auch vor dir steht ein Glas, und du willst einen Schluck trinken, spürst die Eiswürfel kalt an deinen Lippen, das Glas scheint leer zu sein, nur Eiswürfel, du erkennst einen Tresen hinter der Frau an der Stange, die unbeholfen zur Musik tanzt, »Mimi«, sagt die Frau, die vor dir an dem Tisch sitzt, ein Teelicht, »you American«.
    Du weißt nicht, was du sagen sollst, und nickst und blickst über ihre Schultern zu den anderen Tischen, die meisten sind leer, Kerzen in Gläsern, nur vor der Frau an der Stange sitzt ein Mann in einem dunklen Anzug und blickt dich über nackte Schultern an, aber er sitzt allein am Tisch, ein weißer schmaler Rücken bewegt sich, als würde diese Frau, die sich zu ihm beugt und die nicht da ist, aufgeregt mit dem Mann im dunklen Anzug reden. Der Mann dreht sich zu dir um und blickt dann wieder auf die Tänzerin.
    Die kleinen Brüste an der Stange. Tapeten mit Fächermuster, ein schmaler Raum, ein schmaler Korridor, aber als du den Kopf zurücklegst, siehst du den klaren Nachthimmel und die Sterne. »Where is Hakone?«, fragst du, und sie lächelt, Straßen und Gassen und Menschen und Schneeflocken treiben zwischen den Häusern, den Fassaden, wer tanzt da vorne, und wer sitzt allein?, und Schneeflocken berühren deine Augen.
    »You Hakone-San?«
    »Hakone, hot fountain, near the coast.«
    »You want Hako? In Haikyo?«
    »Tokio?«
    »Hai!«
    »Hello.«
    »You want amai, girl, ima, you onaka?«
    Du verstehst nichts, und deine Beine sind kalt und steif, und du bewegst deine Beine unterm Tisch und siehst, wie sie den Kopf schüttelt und dann nickt und ihr leeres Glas hebt. Sie hat blonde Haare. Trägt ein braunes Kostüm. »Keine Angst, ich bin allein gekommen. Es ist einsam in den Sümpfen.« Dunkelheit. Du spürst, wie dein Kinn dein Hemd berührt. Geräusche. Das Klirren von Gläsern, Eiswürfel, die Stimme des Mädchens wie ein Silberfaden inmitten der immer

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