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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Eine Unsitte, dass die jungen Leute nur amerikanischen oder schottischen Whisky trinken in Japan. Trinken Sie japanischen Whisky in Deutschland?«
    »Ich wusste nicht …«
    »… dass wir sehr guten Whisky haben in Japan?« Liegt es an ihrer tiefen, weich und doch rau klingenden Stimme, dass du dich so ruhig und vollkommen gelassen fühlst? Als würdest du seit Stunden mit ihr in dieser Limousine durch die Nacht fahren. Und könntest weitere Stunden einfach hier sitzen. Wenn die Dame Sansori »Japan« sagt, dehnt sie das letzte A dieses Wortes, ein langes, sekundenlanges A nach dem ersten kurzen. Japaaan.
    »Unsere Welt ist anders. Ein anderer Stern. Ein lautes ›Ja‹ bedeutet: Nein. ›Vielleicht‹: Niemals. Sie haben sicher viele Fragen, Kraushaar-San.«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht nur eine.« Du hörst dich sprechen und weißt plötzlich nicht, wie viel du schon erzählt hast und wie viel du schon gefragt hast und wie viel sie schon gefragt hat und wie viel sie schon erzählt hat. Der Strom ihrer Worte.
    »Es ist eine alte Tradition«, sagt die Dame Sansori, »wie bei Ihnen auch. Es war mein Weg, dass ich mich dieser Tradition angenommen habe.«
    Und wieder wunderst du dich, wie nahezu perfekt ihr Deutsch ist. Die alte Achse. Wer hätte das gedacht. Großvater Adolf. Und draußen, vor den getönten Scheiben des Wagens, werden die Straßen jetzt dunkler, du erkennst Hochhäuser am Rande der weitläufigen Fußwege, spärlich beleuchtete Türme, weite, freie Flächen zwischen ihnen, dann wieder Stein und Glas in seltsamen Ballungen, die Lichter einer Hochstraße, grüne, rote Ampeln, dann wieder stille Straßen, weite Wege, die Nacht scheint hier jetzt Nacht zu sein. Sitzt noch ein zweiter Mann neben dem Fahrer? Du kannst es nicht erkennen hinter der Trennwand, in deren Mitte sich ein kleines ebenfalls getöntes Fenster befindet.
    »Die Gesetze, müssen Sie wissen, Kraushaar-San, verbieten den Verkehr. Verzeihen Sie mir meine offenen Worte, aber so sagt man doch …, für Geld, Kraushaar-San. Hier in Japan.«
    »Sie möchten etwas erfahren, über unsere …, meine Geschäfte.«
    »Sie sind sehr kultiviert für einen Gaijin, Kraushaar-San. Ich mache Scherze. Ich bin eine alte Frau.«
    »In meinem Land sind diese Dinge, von denen Sie sprechen, auch nicht so einfach. Aber es gibt auch dort Wege für diese alte Tradition.« Auch im Inneren des Wagens scheint es dunkler geworden zu sein, aber die gelben Lämpchen direkt über den Türen leuchten immer noch.
    »Gokodu«, sagt die Dame Sansori und nickt. »Die Menschen bei Ihnen würden es sicher nicht mögen, wenn sie uns hören, wie wir sprechen.«
    »Nein«, sagst du, »würden sie nicht. Und bei Ihren Geschäften, Frau Sansori …?«
    »Wir sind ein Land voller Huren.«
    Hat sie das nicht schon vorhin einmal gesagt, überlegst du. Ihre Lippen sind sehr schmal jetzt, ihre dunklen Augen mustern dich. Sie nimmt eine Zigarette mit einem langen weißen Filter, zündet sie an, und du denkst, dass es sehr elegant aussieht, wie sie raucht. »Verzeihen Sie meine Worte, Kraushaar-San. Ich bin eine alte, harte Frau.«
    »Das kann ich nicht beurteilen«, sagst du nach einer Weile, weil du nicht weißt, was du sagen sollst.
    »Doch, das können Sie gut, denn Sie wissen, wer ich bin. Was ich bin. Sie verstehen die Dinge, Kraushaar-San. Deswegen sind Sie hier. Und deswegen spreche ich mit Ihnen. Und deswegen sprechen Sie mit mir.«
    Du blickst aus dem Fenster und siehst, dass der Wagen jetzt über eine Hochstraße fährt, über eine der Hochstraßen, du siehst die trüben Lichter der Stadt wie durch einen Nebel, weit weg ein buntes Flimmern, aber deine Augen sind müde, der Wagen ist in einem Tunnel, verlässt ihn gleich darauf wieder, du siehst eine andere Hochstraße, die die Fahrbahn über euch kreuzt, dann wechselt der Wagen mehrfach die Spur, und es scheint dir, ihr würdet zurückfahren, den Weg zurückfahren, den ihr gekommen seid, ist das nicht der helle, schneebedeckte Kegel des Fuji-Berges am Horizont? Aber woher willst du das wissen, und deine Augen sind müde.
    »Wir sagen immer, die Jungen sind respektlos geworden. Die alten Gesetze gelten nicht mehr. Doch wir selbst sind gierig geworden, Kraushaar-San. Es gab eine Zeit, da habe ich die Ware aus Thailand bestellt. Der große Handelsweg der Thai. Habe Geschäfte mit den Triaden gemacht. Mit den neuen großen Syndikaten habe ich Geschäfte gemacht. Habe bei McDonald’s die Ware gekauft. Doch wozu?«
    »War es

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