Im Stein
wieder seine Herrenhandtasche rausgekramt, weil er gehört hatte, dass die alten Dinger wieder angesagt waren, Handys, Sonnencreme, Zigaretten, Sonnenbrille, K.o.-Spray, alles für den Herrn, aber jetzt muss er lachen, als er sich vorstellt, wie er mit der Hand in der Schlaufe der kleinen braunen Ledertasche über die Flughafenstraße flaniert. Sein Vater hatte sie ihm zu seinem siebzehnten Geburtstag geschenkt, und dass sich mache Leute über diese Handgelenkstaschen lustig machten und sie »Stasi-Taschen« nannten, hatte er erst ein paar Jahre später in Berlin erfahren. Und tatsächlich trugen einige von der Firma diese Taschen, damals, als sie ihn anwerben wollten, zwei Jahre vor der Wende. Vorwärts, und nicht vergessen … Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs’ noch Esel auf. Bis zum Schluss. Standhaft bis zum Schluss. Ich ja auch, dachte er und blinzelte in die Sonne und ging ein paar Schritte auf den Flachbau zu. Er kannte ein paar Leute, die direkt von der Firma ins Geschäft eingestiegen sind. Oder Ex-Bullen, Ost. Die hatten gute Kontakte und waren Experten in Sachen Sicherheit. Von der Stasi in den Puff. Wieder lachte er leise, und als hätte sein Lachen in dem stickigen Hinterhof gehallt und die träge Stille zerrissen, öffnete sich die Tür des Flachbaus, und ein Mann trat auf das kleine hölzerne, verandaähnliche Podest, von dem ein paar Stufen runter in den Hof führten.
Hans legte die flache Hand an die Stirn, über die Augen, sah weiße Türme, Plattenbauten, hinter dem Flachbau, verschwommen in dem flimmernden Licht überm Asphalt der vielen Straßen, sah, wie die Stadt und das Viertel und die Häuser sich in diesem Licht bewegten, graue Wände, rote Ziegelquader, hohe Silos, Tausende Fenster warfen ihre gläsernen Strahlen fächerförmig durch den kürzer werdenden Tag, Kondensstreifen von Flugzeugen darüber im Hellblau, Hans blickt in das Gesicht des Anwalts Emil Fischer, mit dem er vor etwas mehr als zwei Jahren Eierschecke im Städtchen G. in Thüringen gegessen hat, oder war es eine örtliche Spezialität namens Kaiserschmand mit einer dezenten Malznote?, der Anwalt stand auf der untersten Stufe und reichte ihm die Hand. In der anderen Hand hielt er einen Aktenkoffer, über den er sein Jackett gelegt hatte. »Freut mich, Hans, schön dich zu sehen, die Kollegen kommen gleich. Nichts für ungut, aber ich muss weiter. Hab’s eilig. Geschäfte, Geschäfte.«
Er trug eine weite braune Bundfaltenhose und ein kurzärmliges weißes Hemd. Eine dunkelrote Krawatte klebte auf dem verschwitzten Stoff. »Und unser Geschäft?« Hans ließ die schlaffe, feuchte Hand los, die sich ihm bereits wieder entwand, weil der Anwalt Emil Fischer sich schon halb zum Gehen weggedreht hatte. »Unser Geschäft«, sagte er und legte seine kurz auf Hans’ Schulter, und Hans spürte, dass sie plötzlich nicht mehr schlaff war, sondern fest zudrückte, »da ist doch alles klar, ist doch alles geklärt, mein Lieber, die Ware ist auf dem Weg ins Land der aufregenden Sonne, der Rest der Provision wartet, alles klar wie ein schöner Sommertag.«
»Ich dachte nur, du wärst dabei, um die … hm … Formalitäten zum Abschluss zu bringen. Ist ja eine große Summe. So hatten wir das doch …«
»Abgesprochen. Ich weiß, ich weiß. Aber ich muss nun doch nochmal … kurz … weg.« Er griff etwas umständlich in seine Hosentasche und zog eine Taschenuhr heraus, Hans war überrascht von diesem plötzlichen silbernen Funkeln in der Hand des Anwalts. »Aber ich denke«, der Deckel der silbernen Uhr sprang auf, und Emil Fischer blickte auf das Ziffernblatt, und kurz glaubte Hans, eine leise Melodie zu hören, »dass wir uns nachher noch sehen. Dann könnten wir vielleicht etwas essen gehen. Nicht weit von hier gibt’s ein sehr gutes Lokal.«
»In der Flughafenstraße«, sagte Hans. Der Anwalt lachte. »Nein, nicht in der Flughafenstraße. Lass dich überraschen …«
»Träume werden wahr«, sagte Hans.
»Rudi Carrell«, sagte der Anwalt, »mit dir könnte ich mich stundenlang unterhalten über die alten Relikte. Freut mich, dass ihr die Sternstunden der Unterhaltung auch in der Zone zu schätzen wusstet.«
»Was denkst du denn, was wir …, wo wir …? Die dunkle Seite des Mondes?«
»Hans, die Kollegen kommen gleich, Rushhour, Geschäfte, du verstehst, also bis nachher …« Er winkte kurz und verschwand in der dunklen Toreinfahrt, Hans hörte die Schritte leiser werden. Er setzte sich auf die
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