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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Toreinfahrt, leise Stimmen, er bleibt sitzen, ob am Freitag in Berlin die Müllabfuhr kommt?, seinen BMW hat er paar Straßen weiter abgestellt. Er kennt sich nicht aus in Neukölln, war das letzte Mal vor fast zwanzig Jahren in der Ecke gewesen. Am Vormittag ist er durch den Prenzlauer Berg und Mitte gefahren. Hat sich langsam Richtung Mauer bewegt, Richtung Stadion, wollte kurz bei Biene reingucken, auf der Prenzlauer Allee, ließ es aber dann. Die Kneipe gab es noch, er war sich nicht sicher gewesen, schaltete dann den Warnblinker ein und rauchte eine Zigarette und blickte auf die Tür und das Schaufenster. Er konnte nicht erkennen, ob sie schon geöffnet hatten, aber dann sah er einen alten Mann und eine alte Frau, Hand in Hand, sie blieben vor dem Lokal stehen, der Alte sagte irgendwas, sie gab ihm einen Klaps auf die Backe, sie lachten, und dann gingen sie hinein.
    »Gib mir mal noch ’n Bier, Biene.«
    »Gerne, Hans.« Und sie legte ihre Hand auf seine Hand, und er bewegte ihre Hände über den Tresen und summte ein Lied, weil das Lied im Radio lief, und Biene summte mit: »If I had a hammer, I’d hammer in the morning, I’d hammer in the evening …«
    »Der Hans hat ’n Hammer, er hämmert am Morgen, er hämmert auch am Abend, er hämmert immerzu …« Sie lachten. Sie tranken. Nacht bei Biene. Irgendeine Nacht im Jahr neunundachtzig, im Jahr achtundachtzig.
    Er hält auch noch vor einigen anderen Häusern, erinnert sich, wie er auf den Gerüsten gestanden hat, wie er auf den Dächern gestanden hat, wie er Wände gestrichen hat, rauf und runter immer munter , Farbe im Haar, wie er in dunklen feuchten Kellern ausgeschachtet hat, Ziegel schleppte, Zement mischte, Hilfsarbeiter Hans, Bauhelfer Hans, Hilfsmaurer Hans, an den Wochenenden hat er manchmal in den Diskos oder draußen in Dörfern beim Tanz gearbeitet. Wenn er nicht ins Stadion gegangen ist, wenn er nicht bei irgendeinem Auswärtsspiel in der Provinz mit dabei war. Wenn sie in der Stahlstadt spielten, ist er nie mitgefahren. Er war auch nicht so verrückt wie die anderen, die jedes Wochenende, jedes Spiel den Wahnsinn rausbrüllten, aber er war ja froh, dass er Leute kennengelernt hatte, auf die er sich verlassen konnte, damals, als er in die große Hauptstadt der DDR gekommen war. Nach der großen Wende ging das richtig los auf dem Bau. Die Kräne wuchsen in den Himmel, so würde er das formulieren . Shut up. Er fährt durch die Vorstädte, die Plattensiedlungen, Schweineöde-Schöneweide, an irgendeiner Baustelle hat er angehalten, ist aus dem Wagen gestiegen und ein paar Schritte Richtung Gerüst gelaufen, hat diesen Geruch nach Staub, Erde und Feuchtigkeit tief eingeatmet. Manchmal wünscht er sich, er könnte wieder auf den Dächern stehen, über die Gerüste laufen, Wohnungen entkernen, die Mischung machen, diesen Geruch einatmen.
    War ’ne schöne Zeit. »Heh, das ist hier aber unbefugt.« Halt die Fresse, ich verfug dich gleich.
    »Hansi?« So hat ihn schon seit fast zwanzig Jahren keiner mehr genannt. Er steht am Auto, den Schlüssel in der Hand, und dreht sich um. Der Mann im staubigen Blaumann kommt auf ihn zu. Er nimmt den gelben Helm ab, auch seine Haare sind staubig und grau unter dem Staub.
    »Wer will das wissen?« Nein, er hat nichts gesagt und schweigend gewartet, bis der Blaumann vor ihm stand, den Helm an die Brust gedrückt.
    »Du bist doch der Hansi, ich erkenn dich doch, jetzt sag bloß, dass du nicht der Hansi bist.«
    Der Blaumann lächelt, lacht fast, lacht und lächelt mit dem ganzen schmutzverkrusteten Gesicht, Augen, Nase, Mund, Stirn. »Achim?«
    »Ja, Hans, Achim.«
    Hans fährt langsam durch die Brunnenstraße. Kein Verkehr hinter ihm. Seine Schultern sind noch etwas staubig. Sie haben sich lange umarmt. Alt geworden, der Achim. Der hat ihm damals viel beigebracht. Auf dem Bau. Seine steinernen Geschäfte. Hat ihn an machen Wochenenden mit zum Pfuschen aufs Land und in die Vorstädte genommen. So nannten sie die kleinen Nebenverdienste. Fliesen, Mauern, Fußböden legen, Dächer ausbessern. Geld und Naturalien. Einmal hatten sie zwanzig Kästen Radeberger von einem Kneiper in einem kleinen Nest bei Neubrandenburg bekommen. Die haben sie dann in der Hauptstadt verscheuert. Hatten das zumindest vorgehabt. Blieb aber nicht viel zum Verscheuern. Drei Kästen hat er Biene geschenkt.
    Achim wusste, wie sie Material organisieren konnten, er kannte fast jeden Vorarbeiter in Berlin, da was abgezweigt, da was verschoben,

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