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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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der Vereinigung rennen immer noch jede Menge Idioten durch die Stadt, die keinen Plan haben, wie das Spiel jetzt läuft und laufen muss. Die sich über den Tisch ziehen lassen von Treuhandärschen und Immobilienwichsern.
    Die Kleine ist recht flach, hängende Schultern, die Haare auch bisschen zu kurz. Mit etwas längeren Haaren würde sie ein wenig aussehen wie Adrian aus »Rocky 1«, als die noch so ’ne richtige Maus war. Er stand immer auf Adrian. Ganz oft hat er es schon erlebt, wenn ein Mädel vorsprach, die einen Raum bei ihm mieten wollte, und das war eine ganz Hübsche, eine Granate, dass die noch eine Maus mitbrachte, die auch gerne …, aber nur zusammen und am besten in derselben Wohnung. Kostenführer stellen große Mengen an Produkten her. Der Effizienzgedanke steht daher im Mittelpunkt. Dementsprechend muss sich auf der höchsten Führungsebene ein Geschäftsführer finden, der sich um ebendiesen Bereich intensiv kümmert. Die Prozessorganisation ist möglichst straff organisiert . Weil sie Sicherheit brauchen für den Anfang. Und eine Maus, eine Unscheinbare, eine kleine graue Mutti, gibt dann erstmal der Hübschen, der Sexbombe, das Gefühl, dass die Männer auf sie, dass denen der Zahn tropft … und dass sie die Begehrenswerte wäre, und all so ein Psychokram. Und die Unscheinbare fühlt sich bei ihrer hübschen klugen Freundin gut aufgehoben, weil die sich ja auskennt mit den Männern. Aber meistens stehen dann die Männer bei der kleinen Unscheinbaren Schlange, die da schräg vor ihm sitzt und jetzt ihre runden Brillengläser putzt. Und sich kurz zu ihm umdreht und ganz kurz lächelt, unsicher, so scheint es Arnold, und sich dann wieder dem Dozenten zuwendet, die Brille zurechtrückt, und Arnold denkt, dass die der Renner wäre. Er steht auf Adrian. Weil die Männer, und da ist er sich sicher, obwohl er noch nicht so lange im Geschäft ist wie zum Beispiel der Bielefelder, der anscheinend doch nicht aus Bielefeld kommt, weil die Männer, die Gäste, die Kunden, sich selbst auch sicherer fühlen bei einer kleinen süßen Durchschnittsmaus, der man auf der Straße bestimmt nicht gleich hinterherpfeifen würde. »Das betrifft die Wachstumsstrategie der Kostenführer«, sagt der alte Dozent und tippt mit dem Stock an die Tafel. Er blickt über seine Brille hinweg in die Klasse, und irgendwie mag Arnold den alten Mann. Die Brille, die er trägt, ist sogar ziemlich schick, hat Stil, der alte Wessi, möchte wissen, wie’s den hierher verschlagen hat, Strenesse oder Porsche, der Bielefelder trägt manchmal so eine ähnliche, verdammt teuer. Aber der Kuchen ist groß genug im Moment. Auch wenn der Bielefelder, der gar nicht aus Bielefeld kommt, ihn immer warnt, dass die Zeiten und der Markt schlechter werden. »Der Tag wird kommen, und wir müssen vorbereitet sein.« Der kapitalistischen Produktion genügt keineswegs das Quantum disponibler Arbeitskraft, welches der natürliche Zuwachs der Bevölkerung liefert. Sie bedarf zu ihrem freien Spiel einer von dieser Naturschranke unabhängigen industriellen Reservearmee.
    Die Kostenführer. Die Wachstumsstrategien. Die Reservearmee. Preiskriege hat er genug gesehen in den paar Jahren nach der Wende. Macht man sich gegenseitig kaputt. Und was soll er den Mädels die Preise diktieren, die machen das schon selbst, auch wenn er’s versucht, das Netzwerk der Muschis untereinander ist permanent aktiv und ist kaum zu kontrollieren, die wissen schon, wie sie ihren Schnitt machen, damit er seinen macht, er hat seine Vertrauensmädels deswegen, mit denen er sich hin und wieder trifft und die ihn auf dem Laufenden halten, was es so Neues gibt, wer welche Probleme hat, wer in eine andere Stadt weiterziehen will und was die Kunden von der Konkurrenz erzählen.
    Er sitzt in seinem Büro, den Kopf über den Büchern, und blickt zum Fenster, sieht sein Spiegelbild dort, blass gegen die Nacht, von den Lichtern der Autos zerschnitten, Scheinwerfer, Rücklichter, das Gewerbegebiet ist dunkel, Schatten, Gebäude, Zäune, und irgendwo zwischen den LKW der Spedition Z sieht er die Taschenlampe eines Wachmanns, er blickt auf die Uhr, Breitling & Söhne, ist keiner von seinen Leuten, er steht auf, geht zu dem Fenster, lehnt kurz die Stirn an die Scheibe und sieht, wie das Glas vor seinem Mund beschlägt, dann zieht er die Jalousie runter. Ein Gefühl der Angst. So viel da draußen. Zu viel da draußen. Drinnen. Der Kuchen ist groß genug, und wer tot ist, kann nichts mehr davon

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