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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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frontal.«
    »Verstehe.«
    »Natürlich ist Transparenz wichtig. Aber alle Geschäfte tätigt man nicht im grellen Licht. Wir sind, wer wir sind.«
    »Und wer sind Sie?«
    RÄUSPER RÄUSPER.
    »Was sagt die Sendezeit?«
    »Wir machen modernes Theater, Mister Orpheus, wir haben die ganze Nacht Zeit.«
    »Stellen Sie mir noch einige konkrete Fragen.«
    »Mieten.«
    »Das ist keine Frage. Aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Sie werden verstehen, dass ich Ihnen hierauf nicht konkret antworten kann, aber was den Umsatz und die Gewinne betrifft, liegt bei mir alles offen. Dieser Mensch, gegen den bereits mehrere Verfahren laufen, hat in seinem Pamphlet einige Zahlen genannt. Ich könnte im Gegenzug Ihnen und Ihren Hörern natürlich einige grobe Pi-mal-Daumen-Zahlen nennen, aber Sie werden verstehen, dass ich da nicht ins Detail gehen kann. Der Mietpreis, den die Damen für ihre jeweiligen Objekte entrichten, setzt sich schließlich aus mehreren Faktoren zusammen. Die Zeitungsannonce zum Beispiel kostet mehr als dreißig Euro pro Tag, dazu kommt die Internetwerbung, dazu ein Anteil an der Grundmiete, dann die Tagessteuerpauschale, dazu kommen anteilige Personalkosten, und das ist noch nicht alles, meine Mieterinnen wissen genau, für was sie zahlen, Sicherheit, Sauberkeit …«
    »Und wir, also der nimmermüde Strom der Freier, zahlt für das dritte S.«
    »Sexus. Ich will nur zeigen, wie sich das Geld verteilt, ich biete auch bestimmte Rücklagen an, falls da ein Wunsch besteht, und wir dürfen ja nicht vergessen, lieber Ecki, dass die Objekte arbeitsbereit an meine Mieterinnen übergeben werden. Ich bin immer für die Mädels da, meine Firma ist sauber. Rufen Sie bei den Bullen an, meine Firma ist sauber.«
    »Dieser Mensch, wie Sie ihn nennen, der Verfasser dieser Anklage, behauptet, die Polizei würde die Zwangsprostitution in Ihren Objekten decken, das …«
    »… ist absurd, wollten Sie hoffentlich fortführen.«
    »So etwas in der Art. Ich meine, wir sind doch nicht in einer Bananenrepublik.«
    »Sie sagen es, mein lieber Ecki. Ich bewege mich voll und ganz in den Bahnen unseres kapitalistischen Rechtsstaates. Früher versuchten sie uns beizubringen, dass das unvereinbar sei.«
    »Lange her, die Internationale erkämpft das Menschenrecht .«
    »Lange her, Ecki. Diese Welt muss unser sein, nicht der mächtgen Geier Fraß . Natürlich gibt es den Menschenhandel, die Zwangsprostitution undsoweiter. Ein Auswuchs des Systems. Den wir hier in unserer Stadt nie haben wollten, von dem wir nicht profitieren wollten. Keine soziale Marktwirtschaft. Sklavenhalter. Und letztlich, lieber Ecki, sind wir alle irgendwo Sklaven des Systems.«
    »Und Sie könnten also garantieren, dass in Ihren Objekten keine Zwangsprostituierten arbeiten, dass es keine Hintergrundorganisation gibt, von der Sie vielleicht nichts wissen …«
    »Ja. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass ich mich in jenem Jahr, als die Schüsse fielen, für eine Dame einsetzte. Marschall Titos Leute betrachteten sie als ihr Eigentum. Lange her. Jede der Frauen, die in meinen Objekten arbeiten, hat ihre eigene Geschichte. Ich besitze nach all den Jahren ein gewisses Menschenverständnis. Ich erkenne, wenn etwas faul ist. Und rein pragmatisch gesprochen: Wozu soll ich mir Probleme in meine Objekte holen, wenn eine einfache Zeitungsannonce reicht, ich habe keinen Mangel an Mieterinnen, freiwilligen mündigen Mieterinnen. Natürlich wird es die ein oder andere geben, wo eine gewisse materielle Not eine Rolle spielt. Schulden. Eine große Familie. Keine Lust auf Hartz IV. Wenn Sie das Zwang nennen, lieber Ecki, dann bin ich schuldig. Dann sind wir alle schuldig. In allen Teilen unserer Gesellschaft. Jede Frau hat ihre eigene Geschichte. Das, mein lieber Ecki, müssen die Leute lernen, tolerieren, und nicht alles über einen Kamm aus Blei scheren.«
    »Kamm aus Blei?«
    »Nur so eine Redensart.«
    »Sie sprachen eben über die Schüsse in der Vergangenheit, Mister Orpheus. Aber vor allem in den letzten Monaten waren wir alle sehr besorgt. Fremdinvestoren drohten mit feindlichen Übernahmen. Die Engel kamen in die Stadt … Wie ist die Situation jetzt?«
    »Sie ist stabil. Sie werden verstehen, dass ich zur aktuellen Lage nichts Konkreteres sagen kann.«
    »Mister Orpheus, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch und habe nur noch eine letzte Frage …«
    »Ja?«
    Ein Strom aus Licht, ein Strom aus Stimmen, Gesichter, Frauen, silbernes Lächeln, Haare aus

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