Im Strudel der Gefuehle
war.
»Laß mich nicht los«, flüsterte sie ängstlich.
»Ich dachte, du hast Angst vor mir.«
Sie schüttelte den Kopf. Ein seidiger Vorhang aus Haaren strich über Wolfes Brust.
»Bist du sicher?« fragte er.
»Ganz sicher.«
Langsam legte Wolfe seine Arme wieder um sie und zog sie an sich. Sie entspannte sich ein wenig, obgleich sie immer noch die unverkennbaren Anzeichen seiner Erregung spüren konnte. Lange Zeit herrschte Schweigen und nur der Wind war zu hören, der im ersten Licht der Dämmerung sein grausames Spiel mit ihr trieb.
»Wolfe?«
Er gab ein unbestimmtes Knurren von sich.
»Als du Willow so gesehen hast...« Jessica zögerte und überlegte, wie sie ihre Gedanken am besten in Worte fassen konnte. »Die Geburt
war...«
Wolfe küßte sie auf die Stirn. »Sie hat deine alten Alpträume wieder zum Leben erweckt, nicht wahr? Mach dir keine Sorgen. Sie werden wieder vergehen. Sogar wenn alles bestens verläuft, ist eine Geburt eine ziemlich gewaltsame Angelegenheit. Mit deinen Erinnerungen an die Vergangenheit muß es schrecklich gewesen sein, dabei zuzuschauen.«
»Das wollte ich gar nicht sagen. Ja, eine Geburt ist eine gewaltsame Angelegenheit, aber das ist der Frühling auch. Wo gehobelt wird, fallen eben Späne; du weißt ja.«
Wolfe lächelte und schmiegte sich an Jessicas Wange. »Habe ich dich eigentlich schon dafür gelobt, wie tapfer du warst, Jessi?«
»Ich bin nur ein armseliger, kleiner Feigling, und niemand weiß das besser als du.«
Die Resignation in Jessicas Stimme erstaunte ihn. Wolfe hob ihr Gesicht an, damit er ihr in die Augen schauen konnte.
»Das stimmt nicht«, sagte er. »Als kleines Kind hast du Dinge überstanden, an denen die meisten Erwachsenen zerbrochen wären.«
Ohne etwas zu sagen, schloß Jessica die Augen und schüttelte den Kopf.
»Jessi«, flüsterte Wolfe und küßte ihre Augenlider. »Niemand hätte dir einen Vorwurf gemacht, wenn du in den Nächten davongelaufen wärst und dich versteckt hättest, in denen dein Vater deine Mutter vergewaltigt hat. Aber du bist geblieben. Du bist zu deiner Mutter zurückgekommen und hast ihr so gut du konntest geholfen.«
»Es war nicht genug.«
»Es war mehr als genug«, widersprach er ihr. »Du mußt vor Angst von Sinnen gewesen sein, und doch hast du den Menschen getröstet, der eigentlich dich hätte trösten müssen.«
»Sie konnte niemanden trösten. Als es dem Ende zuging, war sie bestimmt schon völlig verrückt.«
Wolfe schloß die Augen. »Das wäre wahrscheinlich ein Segen gewesen.«
»Ja. Aber ich war ganz allein. Als sie an der Cholera gestorben ist, habe ich fest damit gerechnet, daß es mir genauso ergehen würde. So krank war ich damals. Doch dann kam er und hat mich gebadet, mich mit Haferflockensuppe gefüttert und mich warm gehalten, bis er selbst die Cholera bekommen hat.«
»Wer?«
»Der Graf. Mein Vater. Alle anderen waren bereits tot oder lagen im Sterben. Ich habe versucht, ihm zu helfen, aber der Wind hat ihn mir genommen. Ich glaube... ich glaube, er hat sich nicht einmal dagegen gewehrt.«
Wolfe stöhnte unterdrückt. »Du warst noch so jung damals. Es bricht mir das Herz, wenn ich mir vorstelle, wie allein und verängstigt du damals gewesen sein mußt.«
»So war ich immer«, sagte sie ganz sachlich, »bis du gekommen bist. Ich habe versucht, vor dir zu verbergen, was für ein Feigling ich bin, aber du hast mich durchschaut.«
»Sei jetzt still«, sagte er und küßte ihre Wimpern. »Ein Feigling wäre aus dem Haus gerannt und hätte Willow während der Geburt allein gelassen. Doch du bist geblieben. Trotz deiner schrecklichen Erinnerungen bist du nicht von ihrer Seite gewichen und hast deine Ängste für dich behalten. Caleb hat mir erzählt, daß man dir nichts angemerkt hat.«
»Wenn Willow Angst gehabt hätte, wäre alles für sie noch schwieriger gewesen. Das konnte ich ihr nicht antun.« Jessica stöhnte, als wenn sie nicht wüßte, ob sie lachen oder weinen sollte. »Du hattest recht, Wolfe. Sie ist eine außergewöhnliche und wundervolle Frau. Dabeizusein, als ihr Sohn zur Welt kam, hat mir geholfen... weniger Angst zu haben.«
Lächelnd streichelte Wolfe mit den Fingern Jessicas Wange. Sie drehte langsam den Kopf, bis sie seinen Zeigefinger mit ihren Lippen umschließen konnte. Sie spürte den Geschmack seiner Haut auf ihrer Zunge. Als er plötzlich tief Luft holte, wußte sie, daß sie damit seine ganze Aufmerksamkeit hatte.
»Caleb hat mir auch etwas beigebracht«,
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