Im Sturm erobert
Verbotenen Ringe nach zweihundert Jahren wieder auf getaucht wären, hatte die Geschichten aber nicht geglaubt.
Seine Quelle, ein Antiquitätenhändler, behauptete, die Ringe hätten sich ausgerechnet bei einem Pfandleiher in London materialisiert und wären dann genauso schnell wieder verschwunden, vermutlich an einen leichtgläubigen Sammler verkauft.
Leo hatte nicht an die Echtheit der angeblichen Antiquitäten geglaubt, und auch nicht den Berichten, die er gehört hatte, da es keine Beweise gab, die sie bestätigten. Die Welt der An-tiquitäten brodelte vor fantastischen Behauptungen und geflüsterten Geschichten über seltsame Ereignisse und rare Objekte. Es war sein Lebenswerk, die Wahrheit vom Gerücht oder Betrug zu trennen. Er hatte vor langer Zeit gelernt, niemals den bloßen Schein zu akzeptieren. Diese Regel galt für ihn nicht nur bei seinen professionellen Untersuchungen, sondern auch für sein Privatleben.
Unter den Legenden zählte die von den Verbotenen Ringen der Aphrodite zu den obskureren. Soweit Leo wußte, kannten nur einige wenige Gelehrte wie er und eine Handvoll Sammler die Geschichte. Solche geheimwissenschaftlichen Legenden waren kein Gegenstand für seichte Salongespräche. Seiner Erfahrung nach gelang es ihnen nur selten, das Interesse der modischen Welt zu wecken.
Aber heute abend war er mit einer Frau konfrontiert, die nicht nur die Legende kannte, sondern auch entschlossen war, alles Mögliche darüber zu erfahren. Von allen möglichen Erklärungen für den nächtlichen Besuch einer Dame, die ihm nie zuvor begegnet war, war das wohl die am weitesten hergeholte.
Aber an dieser Begegnung war nichts berechenbar, wie er erbost feststellen mußte. Erstens ärgerte es ihn, daß er den Blick nicht von Beatrice wenden konnte, und damit es nicht aussah, als würde er sie anstarren, hatte er sich darauf verlegt, sie aus dem Augenwinkel zu beobachten. Es war lächerlich. Es gab keine logische Erklärung für diese widerwillige Faszination, die er empfand. Es schien, als würde sie insgeheim eine Art von Mesmerisierung auf ihn ausüben.
Beatrice saß in einem der beiden Stühle, die vor dem Feuer standen. Kaum zu glauben, daß sie gerade eine lange, ermüdende Reise hinter sich gebracht hatte. Sie war von einer Aura femininer Vitalität umgeben, die ihn anzog wie Nektar die Bienen.
Monkcrest war kein Modekenner, aber ihre stilvolle Eleganz war unübersehbar. Ihr goldbraunes Haar war zu einem seidigen Knoten geschlungen, der die erfreuliche Form ihres
Kopfes und den graziösen Schwung ihres Nackens betonte. Die kleinen Korkenzieherlocken, die um ihre Schläfen tanzten, wirkten kunstvoll zerzaust, als wären sie zufällig aus den Haarnadeln gerutscht.
Die Corsage ihres Kleides enthüllte die sanften Kurven kleiner, fester Brüste und eine schlanke, geschmeidige Figur. Die gerüschten Röcke ihres langärmeligen, kupferfarbenen Kleides fielen in anmutigen Falten über ihre schlanken, bestrumpften Fesseln. Der weiche Wollstoff war von feinster Qualität. Das hochtaillierte Kleid paßte perfekt, es mußte von einer erstklassigen Modistin stammen. Einer sehr teuren Modistin.
Das Kleid war ein Stück des Puzzles, das nicht ins Gesamtbild paßte, denn es gab keinen Hinweis auf großen Reichtum. Beatrice war nicht mit einer Privatkutsche mit livrierten Dienern und einer Vielzahl von Begleitern angereist. Ihr Kutscher war tatsächlich erst am vorigen Tag angeheuert worden. Sie trug keinen Schmuck, und ihre Zofe hörte sich an, als hätte sie sie erst vor kurzem auf der Straße aufgelesen.
Die einzige Frage, die ihn aus irgendeinem Grund am meisten bewegt hatte, war beantwortet worden. Es war ihr gelungen, ihm ganz unauffällig zu vermitteln, daß sie Witwe war. Wenn er hätte raten müssen, würde er sagen, daß ihr Mann ihr eine kleinere Summe hinterlassen hatte, aber sicherlich kein Vermögen.
Aber wie war dieses Kleid zu erklären ?
Beatrice war - er hielt inne und suchte nach dem richtigen Wort. Sein strapazierter Verstand produzierte schließlich interessant. Es paßte, aber es ging nicht weit genug, gab er widerwillig zu. Sie war weit mehr als nur interessant. Um ehrlich zu sein, sie war völlig anders als alle Frauen, die ihm bisher begegnet waren.
Ihr feines, schön modelliertes Gesicht strahlte vor Intelligenz und der schieren Kraft ihrer Persönlichkeit, nicht vor großer Schönheit. Seine erste Einschätzung erwies sich als richtig. Sie mußte Anfang Dreißig sein, nicht dem
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