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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nie getragen, Riccardo! Nein, ich verrate nichts. Laß dich morgen früh überraschen! Du glaubst gar nicht, was man aus Gardinen, Watte, Verbandsmull, alten Fetzen und Stoffabfällen alles machen kann. Dior und Saint-Laurent würden erblassen, wenn sie das sähen!«
    »In zwei Tagen werden zwölf Frauen und Kinder verdursten. In vier Tagen werden es neunundzwanzig sein! Wir sind jetzt soweit, das Sterben genau vorausberechnen zu können. Evita, ich flehe dich an …«
    »Sie haben mir Schuhe geflochten, Riccardo. Schuhe aus bunten Lederstreifen und Bast. Man schwebt in ihnen!«
    Dr. Högli schloß die Augen. Übelkeit überflutete ihn. Das ist Angst, dachte er. Das ist ganz gemeine Angst. Ich habe das nie gekannt, ich habe mir das nie vorstellen können … Aber jetzt weiß ich, wie einem Hund zumute sein muß, wenn er wehrlos im Dreck liegt und totgeschlagen wird. Er warf sich herum und prallte gegen den großen Indio, der dicht hinter ihm stand, um ihn aufzufangen, falls er umsinken sollte.
    »Schlag die Tür ein!« sagte er rauh. »Warum hilfst du mir nicht? Ich habe euch über ein Jahr geholfen, immer war ich für euch da, Tag und Nacht. Ich habe euch operiert, die Kinder geholt, Seuchen verhindert, die Schwindsucht aus euch hinausgetrieben, eure Schmerzen gelindert, mit den Sterbenden gesprochen. Ich habe alles für euch getan! Nun tut einmal, einmal nur, etwas für mich! Schlag die Tür ein und hilf mir, Evita aus dem Tal zu bringen!«
    Sie sahen sich starr an, der Doktor und der Indio, der ›Herr über den Schmerz‹, wie sie ihn nannten, und der hungernde, in der monatelangen Sonnenglut langsam verdorrende und doch an das Wunder von morgen glaubende Bauer von Santa Magdalena.
    Und sie begriffen, jeder auf seine Art, die Ausweglosigkeit dieser Stunde.
    »Es hat keinen Zweck, Doktor«, sagte der Indio ruhig. »Wir freuen uns alle auf dieses Fest.«
    »Und übermorgen tauscht ihr uns gegen Wasser ein. Müßt uns eintauschen, wenn ihr nicht alle verrecken wollt! Laßt doch Evita leben! Laßt wenigstens sie leben!«
    »Sie will bei dir bleiben, Doktor.« Der Indio faßte Dr. Högli unter die Achseln und trug ihn fast von der Tür weg. »Eine gute Frau bleibt bei ihrem Mann. Sie ist die beste Frau, Doktor …«
    Dr. Högli saß vor seinem Hospital und starrte in die Nacht. Die großen Feuer loderten rund um das Krankenhaus, die Wachtrupps hockten um die Flammen, einige waren unterwegs auf Streife. Falls Rick Haverston vorhatte, die Hochzeit auf seine Weise zu verhindern, sollte ihm das unmöglich gemacht werden. An Dr. Högli kam er nicht näher als auf zweihundert Meter heran.
    Hinter sich, aus einem angelehnten Fenster, hörte er Stimmen. Er achtete erst nicht darauf, aber dann unterschied er eine männliche und eine weibliche Stimme, die zärtlich miteinander sprachen. Nach einer Weile ging das Gemurmel in Seufzen und Gestammel über, in spitze, unterdrückte Aufschreie und hastiges Keuchen.
    Dr. Högli erhob sich abrupt und ging vom Fenster weg. Er wanderte in der Nähe des Brunnens unruhig durch die Nacht, von den Indios, die Santa Magdalenas einzige Wasserstelle bewachten, schweigend beobachtet.
    Nach einer Stunde kam Juan-Christo aus dem Haus, um sich in der kühlen Nachtluft zu erfrischen. Er stutzte, als er seinen ›Chef‹ sah, und kämmte sich schnell mit gespreizten Fingern die schweißnassen, durchwühlten Haare.
    »Mach nächstens das Fenster zu oder stopf Matri etwas in den Mund!« knurrte ihn Dr. Högli an. »Oder legt euch gleich vors Haus und macht es allen vor!« Er vergrub die Hände in die Hosentaschen und blickte hinüber zu Evitas Fenster. Dort war noch schwaches Licht. Sie brannte eine Kerze, um Strom zu sparen. Das Aggregat wurde in der Nacht ausgeschaltet, so gewann man vielleicht noch einmal drei Tage.
    Drei Tage mehr … Das hieß also: noch zwölf Tage.
    Wie anders würde Santa Magdalena in zwölf Tagen aussehen.
    »Für dich gilt der Brauch wohl nicht, daß man seine Braut vor der Hochzeit nicht mehr sehen darf?« fragte Dr. Högli giftig. »Wieso kannst du in Matris Zimmer?«
    »Ich liebe sie über alles, Chef.«
    »Red keinen Blödsinn, Juan-Christo. Hat Matri keine Wache?«
    »Das schon.« Der Krankenpfleger grinste verlegen. »Aber José ist mein Freund, Doktor.«
    »Und der Kerl, der vor der Tür der Señorita steht? Ist das auch dein Freund?«
    »Alle sind meine Freunde. Wenn ich nicht ihr Freund bin, und sie müssen mal eine Injektion bekommen …«
    »Ich verstehe.« Dr.

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