Im Tal der bittersüßen Träume
Miguel!« lachte Pater Felix und griff zur Gitarre. »Bei ›Des Himmels ewige Macht‹ fällt dir immer noch die Stimme weg!«
»Ist das ein Wunder, Padre?« Sanzos holte tief Luft. »Der Himmel vernichtet uns.«
»Du singst nicht für den Himmel, du singst für den Doktor!« sagte Felix und schlug die ersten Takte an. »Los, noch einmal! Wenn es morgen früh nicht klappt, trete ich dich vor dem Altar in den Hintern! Also – Des Himmels ewige Macht …«
Vier Indiofrauen kümmerten sich um Evita Lagarto. Sie hatten Dr. Högli von ihr getrennt und ihm verboten, in ihr Zimmer zu kommen. Ein stämmiger Indio hielt vor der Tür Wache.
Es war ihr Fest, das vielleicht letzte Glück von Santa Magdalena, und so sollte es ablaufen nach altem indianischem Brauch, feierlich und mit dem ganzen Zeremoniell einer längst schon versunkenen Zeit. Dazu gehörte, daß der Bräutigam seine Braut erst in der Stunde ihrer Hochzeit wiedersieht, eingekleidet und geschmückt mit dem Kostbarsten, was man zusammentragen konnte.
In Santa Magdalena hieß das: Aus einer Gardine von Dr. Höglis Schlafzimmer nähten die Indiofrauen einen Schleier. Aus einem handgewebten, buntgestreiften, groben Stoff fertigten sie das Hochzeitskleid an. Ein Capatazo aus Tenabos Mannschaft brachte einen riesigen geschnitzten Holzkamm, mit Perlmutt und Goldplättchen beklebt, den sich Evita in das hochfrisierte Haar stecken sollte und über den dann der Schleier gelegt wurde.
In der Hospitalküche dirigierte der indianische Koch die Frauen, zerlegte das geschlachtete Schwein und betätigte sich als Vorsänger bei dem unentwegten rhythmischen Singen. Unberührt von diesem Trubel im Haus standen die im weiten Kreis verteilten Posten und bewachten das Hospital.
Ein paarmal hatte Dr. Högli versucht, zu Evita zu gelangen, aber spätestens an der Tür zu ihrem Zimmer scheiterten seine Bemühungen. So saß er in seinem Arbeitszimmer herum, neue Kranke meldeten sich merkwürdigerweise nicht, die Stationären lachten ihn an, manche nur mühsam, aber sie lachten und beteuerten, ihnen gehe es heute ausgezeichnet.
Sogar Pierre Porelle verzichtete auf seine Proteste und sagte nur:
»Doktor, Sie haben Mut! Jetzt zu heiraten! Wo alles zum Teufel geht.«
»Sie sagen es, Porelle.« Dr. Högli hob die Schulter. »Es ist nicht meine Idee. Aber ich habe Evita nicht überreden können, Santa Magdalena zu verlassen. Sie will mit mir als meine Frau sterben.«
»Eine einmalige, unwahrscheinliche Frau, Doktor!«
»Ein Wahnsinn ist das, Porelle! Warum soll sie sterben, wenn sie weiterleben kann? Hier wird Liebe absurd! Ein paar Tage Glück – und dann das fürchterliche Ende! Es ist unbegreiflich! Und ich zerfleische mich innerlich dabei. Ich fühle mich verantwortlich für diesen Irrsinn!«
»Sie mögen ein guter Arzt sein, Dr. Högli«, sagte Porelle und rutschte etwas höher im Bett. Er lehnte sich an die Rückwand und nippte an dem Becher mit Wasser. Anders als die Indios, die ihr Quantum auf einmal tranken, verteilte er seinen halben Liter über mehrere Stunden. »Aber von Frauen verstehen Sie nichts, was?«
»Natürlich kenne ich Frauen.«
»Medizinisch gesehen, das glaube ich Ihnen. Frauen haben einen zarteren Skelettbau, dafür größere Fettpolster, sie sind …«
»Reden Sie keinen Blödsinn, Porelle!« sagte Dr. Högli ungehalten. »Ich weiß, was Sie mir vorhalten wollen. Die große liebende Seele einer Frau. Aber hier wird das alles zu einem Verbrechen! Zu einer Paralysierung der Vernunft!«
»Vernunft! Das ist es! Wie können Sie eine Frau verstehen, wenn Sie an ihre Liebe mit der Logik herangehen? Evita – ich bewundere sie. Als Franzose könnte ich vor ihr hinknien. Sie lebt nur noch für Sie! Leben Sie nicht mehr, ist auch ihr Leben vorbei. Das ist die Logik einer Liebe, die Sie anscheinend nie begreifen werden.«
»Ich wehre mich dagegen, Porelle. Wenn das alles einen Sinn hätte …«
»Es muß ja wohl einen Sinn haben, sonst wären Sie ja selbst nicht so wild darauf, von Haverston umgelegt zu werden. Sie könnten in Sicherheit sein, mit Evita – und bleiben trotzdem in Santa Magdalena! Aus Sturheit? Nein! Sie haben das geradezu dämliche Ziel, Jack Paddy zur Aufgabe seiner Peyotl-Pflanzung zu zwingen. Das ist an sich schon ein idiotisches Vorhaben, denn Paddy kann schon lange nicht mehr frei über sich verfügen. Man hat ihn in dem Glauben gelassen, er sei der große, unabhängige Haciendero, der heimlich Meskalin anbaut und ebenso heimlich über
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