Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
Tagebuchs. Dienstag, 3. Januar 1962 ... Ihr Vater, der im Februar geboren war, war vierundzwanzig Jahre alt gewesen, als er dem Tagebuch seine
Gedanken anvertraut hatte. Bevor sie anfing zu lesen, blätterte sie die Seiten durch, von denen viele Eselsohren und Flecken von Essensresten oder Flüssigkeiten aufwiesen - ein Beweis dafür, dass sie in den letzten dreißig Jahren viele Male durchgeblättert und gelesen worden waren.
Sie begann zu lesen und versuchte sich bildlich vorzustellen, was ihr Vater vor so langer Zeit geschrieben hatte …
Im Haus der Stenmarks herrschte eine Menge Trubel. Papa als Haushaltsvorstand hatte die Haushälterin Lilly angewiesen, jedes Zimmer in dem zweistöckigen Haus mit den fünfzehn Zimmern gründlich sauber zu machen und herzurichten, bevor Rolfes älterer Bruder Kurt und dessen deutsche Verlobte, Marta Gronow, ankamen. Greta Michaels, seine ältere Schwester, war in heller Aufregung. Ihr Mann John und ihr dreijähriger Sohn Luke wohnten seit dem Tod ihrer Mutter vor drei Jahren in Stenhaus, und Greta hatte die Rolle der Gastgeberin übernommen. Sie gab sich große Mühe, denn sie wollte, dass alles perfekt war - Papa hatte gesagt, dass es so sein musste. Außerdem wollte sie Marta beeindrucken, die aus einer wohlhabenden deutschen Familie mit Grafen und Gräfinnen stammte.
Lisel Stenmark, die Jüngste der Stenmarks, war zehn Jahre alt und wie üblich sehr altklug. Seit dem Tod der Mutter hatte Papa sie über alle Maßen verwöhnt, und fast immer bekam sie ihren Willen. Da alle mit den Vorbereitungen für Kurts Rückkehr beschäftigt waren, lief sie vor und nach dem Schulunterricht mit verdrossenem Gesicht in der Gegend herum und schmollte, weil alle, einschließlich Papa, zu beschäftigt waren, um ihr die gewohnte Aufmerksamkeit zu schenken, die sie von ihnen verlangte.
Rolfe seinerseits war froh, bei dem ganzen Durcheinander
eine berechtigte Ausrede dafür zu haben, dass er den ganzen Tag fort war. Von morgens bis abends kümmerte er sich auf Krugerhoff um die Rebstöcke, die jetzt fast reif waren und voller Weintrauben hingen. Zwei Arbeiter, Otto und Ernst, halfen ihm. Nach der Lese in diesem Sommer würde Rolfe den ersten Jahrgangswein abfüllen, der ein sehr guter zu werden versprach.
Ich weiß, dass Papa sauer auf mich ist, obwohl er versucht, es zu verbergen, dachte Rolfe, während er, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zu dem kürzlich erstandenen Holden-Versorgungsbetrieb hinunterlief. Papas unzufriedener Gesichtsausdruck heute Morgen beim Frühstück gab ihm eindeutig zu verstehen, dass Rolfe für Rhein-Schloss, das Weingut der Familie, arbeiten sollte, und nicht auf seinem eigenen Weingut. Papas Missfallen und das Bewusstsein, dass er nicht der Sohn war, der Papas Wünsche erfüllte und obendrein zu vielen Themen seine eigenen Ansichten vertrat, waren etwas, mit dem er - ebenso wie sein Vater - sich abfinden musste.
Papa Carl Stenmark war ein Mann der alten Schule. Die Familie hatte Deutschland im späten 19. Jahrhundert verlassen und war nach Australien übergesiedelt. Papa war genauso autokratisch wie Rolfes verstorbener Großvater Wilfred, obwohl Carl die meiste Zeit ein gütiger Tyrann war.
Die Mutter - möge ihre Seele in Frieden ruhen - hatte das Richtige getan und ihrem Sohn 16 Hektar Land vererbt und genug Geld, damit er sein eigenes Weingut erstehen konnte. Eines Tages würde Kurt, der um zwei Jahre ältere Sohn der Familie, sowieso ganz Rhein-Schloss erben. Rolfe wusste das seit seinen Teenagerjahren. Deshalb war es lebenswichtig für ihn, sein eigenes Weingut zu kultivieren und zu entwickeln, um - unter anderem - Papa und
Kurt zu beweisen, dass er unabhängig sein konnte und es auch sein würde.
Die Planung des Krugerhoff-Weingutes, das nach dem Mädchennamen seiner Mutter benannt war, war die schwierigste und verantwortungsvollste Aufgabe in seinem Leben gewesen. Obwohl Papa ihn nie gelobt oder irgendein Interesse gezeigt hatte, glaubte Rolfe - wahrscheinlich, weil er es unbedingt wollte -, dass Carl dennoch ein wenig stolz auf ihn war, nachdem er mit enormer Eigeninitiative einiges geschafft hatte. Greta und ihr Mann John lobten ihn sehr für seine Bemühungen. Dies hatte ihm genug Selbstvertrauen gegeben, um weiterzumachen, obwohl er verschiedene Male an seinen eigenen Fähigkeiten gezweifelt hatte. Für diese Rückenstärkung war er Greta und seinem Schwager wirklich dankbar.
Carla stieß einen Seufzer aus und schaute von dem
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