Im Tal der Sehnsucht
wehtat, sie hatte immer noch ihren Stolz. Liebte Boyd sie, oder begehrte er sie nur?
„Also gut.“ Er hielt zum Zeichen der Aufgabe beide Arme hoch. „Ich weiß nicht, was ich sonst noch tun soll. Im Moment bin ich so müde, dass mir nichts Neues einfällt. Ich begehre dich so sehr, dass ich kaum an etwas anderes denken kann, aber so darfst du nicht mit mir umgehen. Ich verstehe, warum du geschwiegen hast, doch du hättest wissen müssen, dass ich fast alles für dich ertragen kann. Was ich nicht ertragen kann sind Heimlichkeiten. Ich habe dich gebeten, dein Leben mit mir zu teilen. Ist damit nicht alles gesagt? Du bist kein Betthäschen, auf das ich ein paar Wochen Lust habe. Komm endlich zu dir. Entweder sind wir zusammen oder nicht. Die Entscheidung liegt bei dir.“
Er drehte sich um, und kurz darauf fiel die Tür ins Schloss.
Leona brauchte nur Sekunden, um ihren Fehler einzusehen. Am liebsten wäre sie Boyd nachgelaufen, aber in ihrem Kopf ging alles zu sehr durcheinander. Also ließ sie ihn gehen, obwohl er doch untrennbar mit ihr verbunden war.
Sie warf sich auf die Couch und begann heftig zu schluchzen. Nach einigen Minuten beruhigte sie sich, setzte sich auf und dachte nach. Ohne Boyd hatte ihr Leben keinen Sinn mehr. Die Ehe mit ihm würde eine Herausforderung sein, aber sie durfte ihr nicht länger ausweichen. Wäre sie einige Jahre älter gewesen, hätte sie sich möglicherweise leichter und schneller entschieden. Es war kein reines Vergnügen, zu den Blanchards zu gehören, doch sie verdankte ihnen viel. Außerdem standen die meisten auf ihrer Seite und würden zu ihr halten – mit Ausnahme des mächtigen Familienoberhauptes.
Entweder sind wir zusammen oder nicht!
Boyd hatte ihr die Entscheidung überlassen, und das aus gutem Grund. Sie musste ihre Angst überwinden. Nicht Rupert gefährdete ihr Glück, sondern nur sie selbst. Das stand ihr plötzlich klar vor Augen.
Eine Stunde später rief sie in Boyds Penthouse an, aber er meldete sich nicht. Sie wartete, bis sich der Anrufbeantworter einschaltete, und sagte dann: „Ich bin es … Leona. Es tut mir leid, dass der Abend so enden musste. Manchmal bin ich mir selbst ein Rätsel. Ich rufe morgen wieder an.“
Mehr hätte sie nicht sagen können, ohne wieder in Tränen auszubrechen.
13. KAPITEL
Der Zufall wollte es, dass Boyd den ganzen nächsten Vormittag unterwegs war, sodass Leona ihn telefonisch nicht erreichen konnte.
„Sobald er zurückkommt, sage ich ihm, dass Sie angerufen haben, Miss Blanchard“, versprach seine Sekretärin Vera Matthews.
Bis zum Lunch hatte sie immer noch nichts von Boyd gehört und machte sich daher allein auf den Weg, um eine Kleinigkeit zu essen.
Als Leona nach einer knappen Stunde zurückkam, sah sie Rupert mit Bob Martin, einem Vorstandsmitglied von Blanchard, vor dem Eingang zur Handelsbank stehen. Am liebsten hätte sie die Straßenseite gewechselt, aber wenn Rupert das bemerkt hätte, wäre ihre Niederlage vollkommen gewesen.
Bob erkannte sie zuerst und nickte ihr lächelnd zu. Leona lächelte ebenfalls, zeigte auf die Uhr – zum Zeichen, dass sie es eilig hatte – und beschleunigte ihre Schritte.
Auf dem Gehweg drängten sich die Menschen – Angestellte, die zum Lunch gingen oder davon zurückkamen, Touristen und Kauflustige, die krampfhaft ihre Taschen festhielten. Leona bemerkte Rupert erst, als er leise, aber deutlich hinter ihr sagte: „Du weißt genau, was du willst, nicht wahr?“
„Ja, Rupert.“ Sie drehte sich mutig um und sah ihn an. Er war immer noch bemerkenswert attraktiv, makellos gekleidet und von einer Aura umgeben, die Macht bis zur Skrupellosigkeit verriet. „Ich will Boyd, und er will mich. Sollten wir als Familie nicht zusammenhalten? Es wäre ein großer Fehler, dich auf einen Kampf einzulassen, den du nur verlieren kannst. Das wünscht Boyd ebenso wenig wie ich.“
Ruperts Gesicht lief rot an. „So eine Frechheit!“, schnaubte er.
„Rupert … bitte!“ Leona konnte nur bedauern, was aus diesem Mann geworden war, der sich derart hartnäckig jeder Einsicht verschloss.
Sie standen jetzt dicht an der Kreuzung, direkt gegenüber dem Hauptgebäude von Blanchard. Leona hatte sich selten so beklommen gefühlt. In dem Moment, als die Ampel für den Verkehr auf grün schaltete, spürte sie einen heftigen Stoß im Rücken. Sie schrie auf, verlor auf ihren hohen Absätzen das Gleichgewicht und stolperte auf die Straße.
Die Umstehenden reagierten sofort, jedoch nicht
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