Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
darauf bestand, dass Franzi eine Kirche fand, in die sie ihren Fuß setzen konnte. In San Lázaro stand ein bepacktes Maultier während der Austeilung des Sakraments vor dem Altar, und es gab zu wenig Weihrauch, um den Geruch nach Stall und Kot zu übertünchen. Die Glocke war zersprungen, so dass das Geläut wie das Nahen einer Lawine klang, aber in der Not würde die Gruberin ebenso Fliegen fressen müssen wie der Teufel.
Für Franzi waren die Tage der Weihnacht von klein auf die traurigsten des Jahres gewesen. Weihnacht, das war eine Geschichte von Leuten, die kein Haus hatten, an allen Türen abgewiesen wurden und dankbar sein mussten, weil sie beim Vieh schlafen durften. Für einen, der selbst kein Haus und kein Recht auf Sicherheit und Würde hatte, war das Weihnachtsfest ein Spottlied auf das eigene Leid. Die Gruberin aber hatte Weihnachten immer geliebt und erlebte das traurigste Fest ihres Lebens.
Sie hatte keinen grünen Zweig in ihrem Zimmer, keine geschnitzte Krippenfigur und nicht einmal das ärmlichste Talglicht, um, wie es Brauch war, die Stube auszuräuchern und von bösen Geistern zu befreien. »Als ich jung war, fand ich, das Räuchern sei ein Humbug«, erzählte sie Franzi. »Ich und der Valentin, wir lachten darüber, wir wollten Größeres, Klareres vom Leben. Aber wenn man so weit weg von seiner Heimat ist, dass man nicht einmal spürt, ob sie noch irgendwo wartet, dann wünscht man sich nichts als einen Funken des Vertrauten. Das hat Valentin mir in seinem letzten Brief geschrieben, und jetzt begreife ich, was er damit meinte.« Die Gruberin hatte auch keine Nockerlsuppe, weder ihre ewigen Pinzen noch den geliebten Zimtwein. Aber darüber klagte sie nicht. »Ich beklage gar nichts«, sagte sie, »nur meine Einsamkeit. Welchen Sinn hat ein Leben, wenn einem kein Mensch mehr bleibt, den man lieben kann? Weißt du, wie unnatürlich es ist, die Generation, die die Fackel des eigenen Lebens weitertragen sollte, zu begraben? Ich wünschte, ich hätte eine Weihnacht ohne Veit nie erleben müssen. Nur dass es Valentins Sohn gibt, irgendwo da draußen in der Wildnis, und dass ich für ihn da sein muss, hält mich im Leben fest.«
Franzi hatte nie jemanden gehabt, den sie lieben konnte, und es war das Letzte, was sie sich wünschte. Sie würde ihr Haus lieben. In ihr Haus würde sie zur Weihnacht grüne Zweige tragen, sie würde ihr Zimmer ausräuchern und hinter verschlossener Tür Zimtwein trinken. Heuer hingegen konnte sie es nicht erwarten, die Feiertage hinter sich zu bringen und sich wieder auf die Jagd zu begeben. In der Sache mit dem Neffen der Gruberin machte sie keine Fortschritte, weil sie immer wieder vergaß, sich darum zu kümmern, doch was sie selbst betraf, so kam sie Ende Januar ihrem Ziel zum Greifen nah. Zumindest glaubte sie das. Einer der zahllosen Antonios bot ihr für gewisse Dienste die entscheidende Adresse. Franzi ließ sich nicht für dumm verkaufen und verlangte erst die Adresse, ehe sie den Dienst entrichten würde. Der Kerl war ein Idiot. Er rückte die gedruckte Karte heraus, Franzi schnappte sie sich und nahm die Beine in die Hand.
Anderntags kaufte sie vom Geld der Gruberin einen ganzen Schlauch Wasser, um Haare und Kleider zu waschen, und sobald sie notdürftig trocken war, trat sie den langen Weg ins Viertel San Sebastian an, um bei der Agentur vorstellig zu werden. Deren Büro lag im obersten Stockwerk eines Hauses, das sichtlich aus den besten Tagen des Bezirks stammte, inzwischen aber reichlich verkommen war. Für den Mann, der sie empfing, galt dasselbe, auch wenn er wie ein König hinter seinem Schreibtisch thronte. Als Franzi sich auf einen Stuhl ihm gegenüber setzte, herrschte er sie an, sie solle gefälligst stehen bleiben. Dann hörte er sich gelangweilt drei, vier Sätze ihres Anliegens an, ehe er ihr ins Wort fiel. »Du hast kein Geld, richtig?«
»No hay«, bestätigte Franzi.
»Verschwinde, Schätzchen«, sagte der Mann und erhob sich zu bedrohlicher Größe. »Du suchst keinen Heiratsvermittler, sondern ein Bordell. Und zwar eins von der dreckigsten Sorte, denn anderswo fassen die dich nicht mal mit der Kohlenzange an. Ich weiß nicht, wer dir das Märchen von den deutschen Bäuerchen, die hier mit Land beschenkt werden, erzählt hat, aber du kannst mir glauben, es ist so viel Wahrheit dran wie am Ergebnis der Präsidentschaftswahl – kein kleines Fetzchen. Wenn du mich fragst, such dir einen Kuppler, der jeden Dreck verkauft. Leicht wird’s
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