Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
nicht werden. Gerupfte Hühner wie dich gibt’s wie Sand am Meer, und für den guten Rat ziehst du jetzt Leine und lässt dich hier nicht mehr blicken.«
Ihr Traum war zu groß gewesen, um ihn kampflos aufzugeben. Ein paar Tage lang fuhr Franzi fort, jeden, der ihr in die Quere kam, mit Fragen zu bestürmen, doch letzten Endes musste sie einsehen, dass Matti, der Bettlerfürst, nicht nur ein Lügner, sondern vor allem ein Dummkopf war, der von der Neuen Welt nicht mehr verstanden hatte als sie selbst. In der Neuen Welt war es wie überall. Die einen standen in der Sonne und die anderen im Finstern, und die in der Sonne errichteten steinerne Mauern, die Schatten warfen, damit die anderen im Finstern blieben. Es gab keine landbesitzenden Einwanderer, die eine wie Franzi in ihr Haus genommen hätten. Zu der bodenlosen Enttäuschung kam die Scham, eine solche Idiotin gewesen zu sein und diesen an den Haaren herbeigezogenen Wahnwitz auch nur für möglich gehalten zu haben.
An dem Tag, an dem sie endgültig aufgab, empfing die Gruberin sie mit Ohrfeigen, und diesmal dachte sie grimmig: Jede einzelne davon geschieht mir recht. Wer zu dumm war, verdiente es nicht besser. »Du verschleuderst Geld, und mit der Suche nach meinen Neffen kommst du keinen Schritt weiter!«, schrie die Gruberin. »Ich kann nicht mehr schlafen, weißt du das? Ich sehe den Jungen in einem Loch wie diesem, ich sehe ihn an einer dieser scheußlichen Krankheiten sein Leben aushauchen, und ich bin nicht bei ihm, um ihm zu helfen. Und dann sehe ich dich, die sich herumtreibt und amüsiert, während der Sohn meines Bruders, das Letzte, was ich habe, mir stirbt.«
Franzi hatte sich nicht amüsiert, aber sie brachte dennoch so etwas wie Verständnis für die Gruberin auf. Auch ihr war das Letzte, das sie hatte, gestorben – der Traum von ihrem Haus. »Ich bin auf einer Spur«, hörte sie sich sagen, nicht, um der nächsten Ohrfeige zu entgehen, sondern weil gleich zwei Menschen, die alle Hoffnung verloren hatten, in der düsteren Enge zu viel waren. »Ein Weilchen dauert es noch«, beschwichtigte sie die Gruberin. »Aber ich werde jemanden finden, der uns hilft.«
Die Gruberin ließ die Hand sinken. »Lügst du mich auch nicht an? Ich weiß, deinesgleichen hat kein Gewissen, aber kannst du es auf deine Seele nehmen, mich ums Leben zu bringen? Denn das tust du, Franziska, wenn du mir jetzt eine Lüge erzählst. Du bringst eine alte Frau, die keine Kraft für einen weiteren Verlust hat, um ihr Leben.«
Die dramatischen Übertreibungen der Alten kannte Franzi zur Genüge, und dennoch beeilte sie sich, ihr zu versichern: »Ich hab nicht gelogen. Ich treibe einen auf, der Sie zu diesem Neffen bringt.«
Und wenn sie es wirklich täte? Wenn der Neffe der Sohn vom Bruder der Gruberin war – vielleicht hatte er ja Geld und würde sich erkenntlich zeigen, wenn Franzi ihn mit seiner verlorenen Tante vereinte? Menschen betrugen sich oft so, sie waren verrückt nach Familien, auch wenn Franzi ein Rätsel war, warum. Und obwohl ihr Plan wenig aussichtsreich klang, sie brauchte etwas, an dem sie sich festhalten konnte, andernfalls wäre sie untergegangen. Unermüdlich strich sie durch die Straßen von Tepido auf der Suche nach jemandem, der Deutsch sprach und ihr sagen konnte, wie sich die Spur eines österreichischen Offiziers verfolgen ließ, der vor mehr als zwanzig Jahren in einem Ort namens Querétaro gefallen war.
Rechnete sie wirklich mit Erfolg unter den Tausenden von Menschen in der uferlosen Stadt? Im Grunde wusste sie, dass es mit dem Teufel zugehen musste. Aber der Teufel hatte zuweilen ein offeneres Ohr als die Gottheit, wohl weil er nicht auf himmelsfernen Gipfeln thronte, sondern dicht unter den menschlichen Sohlen unter der Erde sein Unwesen trieb. Und weil er womöglich nichts Besseres zu tun hatte, als sich um die verrückten Anliegen von Franzi Pergerin zu kümmern.
Wie so oft lungerte sie vor der Kirche San Lázaro herum und fing die Frauen ab, die vom Beten oder Beichten kamen. Sie hockte gern auf den Kirchenstufen, weil sie hier nur selten an Männer geriet, doch ihre Ausbeute war kläglich. Manche der Frauen schlurften vorüber, ohne auf sie zu achten, andere schlugen nach ihr wie nach den bettelnden Kindern und Fliegen, und andere riefen: »Nein, nein, nein, ich weiß nichts«, ehe sie eilig weiterhuschten.
Die Frau, die sie an jenem Tag ansprach, als sie mit einem Säugling und einer Horde weiterer Blagen aus der Kirche kam, blieb
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