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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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»Ist in diesem Slum voller arbeitsloser Männer vielleicht eine Stellung als Kaiserin von Mexiko frei?«
    Die erwartete Ohrfeige klatschte ihr auf die Wange, aber diesmal hatte sie sie wenigstens verdient, und außerdem waren die Ohrfeigen der Gruberin schlaff geworden. Franzi setzte das Elend zu, wie es ihr ein Leben lang zugesetzt hatte, aber es machte sie nicht handlungsunfähig. Der Gruberin hingegen raubte es die Reste ihrer Lebenskraft. »Wäre es nicht für meinen Neffen, würde ich mich niederlegen und sterben«, sagte sie. »Dieses heillose Land ist mehr, als meine Seele, die seit langem krank ist, tragen kann. Dass mein armer Bruder hier bis ins Mark zerstört wurde und mit blühenden dreißig Jahren sein Leben lassen musste, beginne ich jetzt zu begreifen.«
    Warum stirbst du dann nicht?, dachte Franzi. Durch den Kopf jagten ihr all die Schwierigkeiten, die sie durch den Tod der Gruberin auf einen Schlag los wäre. Sie hätte zwei, nicht nur eine Schiffspassage zu verkaufen, wenn die Gruberin nicht sogar schon eine für den Neffen erworben hatte, sie hätte den Rest des Geldes und obendrein die vornehmen Kleider ihrer Herrin, aus denen sich leicht etwas für sie selbst schneidern ließe. Sie würde die feinste Agentur aufsuchen und unter den Männern die Wahl haben. Einen, der alt war, wollte sie, möglichst gebrechlich, so dass er keine Frauen mehr mochte, und einen ohne Kinder. Einen, der recht bald starb und sie mit ihrem Haus zurückließ. Allein. Mit dem Geld der Gruberin würde sie sich für ihr Haus kaufen können, was immer ihr in den Sinn kam. Eine riesige Daunendecke, wie die Gruberin sie auf dem Tschiderer-Hof gehabt hatte. Ein Vorhängeschloss. Ein großes Bett, um sich hineinzuringeln und sich vor aller Welt beschützt zu fühlen.
    Aber die Gruberin starb nicht. »Wenn du mehr Geld willst, dann tu etwas dafür«, sagte sie zu Franzi. »Ich gehe hier nicht fort, ehe ich nicht Valentins Sohn gefunden habe, und da du ohnehin nur auf der faulen Haut liegst, kannst du genauso gut bei der Suche helfen. Du treibst dich doch dauernd in diesen Müllhalden von Straßen herum. Warum versuchst du nicht jemanden aufzutreiben, der eine menschliche Sprache versteht und uns Rat geben kann, denn anders kommen wir nicht weiter.«
    Dass die Gruberin mit der menschlichen Sprache Deutsch meinte, war Franzi klar. Sie war versucht der Alten zu sagen, sie solle sich um ihren Dreck alleine scheren, aber das bisschen Geld, das sie anbot, brauchten sie beide, um zu überleben. Außerdem wollte sie ja selbst, dass der Neffe so schnell wie möglich gefunden wurde, damit sie frei war, ihr Leben zu beginnen. Also versprach sie, nach jemandem zu suchen, der in den Slums von Mexikos Hauptstadt Deutsch sprach, auch wenn eine Nadel im Heuhaufen vermutlich leichter zu finden war.
    Sie war bereits seit Tagen mit diesem Auftrag unterwegs, als ihr der Gedanke kam. Da sie sowieso unentwegt durch den Schlamm waten und Leute dazu bringen musste, ihr wahnwitzige Auskünfte zu geben, weshalb fragte sie nicht gleichzeitig danach, ob jemand eine Agentur für heiratswillige Auswanderer kannte? Wie gut sie mit der Sprache zurechtkam, verblüffte sie selbst. Sogar hier, wo die meisten Leute der fast schwarzen Affenrasse angehörten und ein unaussprechliches Kauderwelsch sprachen, gelang es ihr, sich mit ihren spanischen Brocken, die sie mit Händen, Füßen und Grimassen untermalte, verständlich zu machen.
    Einer der Männer, der vor der Kirche Kinder verkaufte, hielt sich den Bauch vor Lachen und erklärte, in Tepito werde nicht geheiratet, in Tepito liebe jeder die, mit der er in der Nacht ins Bett gefallen sei, und fülle ihr den Bauch mit Bälgern. Aber danach sagte er, Franzi sei azucarada, süß wie gezuckert, und so etwas hatte noch nie ein Mensch zu ihr gesagt. Weil sie so süß sei, wolle er ihr helfen, und auch wenn sie nicht daran glaubte, fragte er unter seinen Kumpanen herum und kam am nächsten Tag mit einem Namen zurück. Antonio, dieser Bekannte von ihm, kenne jemanden, der jemanden kenne, und der kenne womöglich einen anderen, der in Franzis Angelegenheit weiterwüsste.
    Franzi fragte sich von einem Antonio zum nächsten durch und schöpfte mit jeder Adresse neue Hoffnung, auch wenn es Tage dauern konnte, in einer Gegend ohne Hausnamen und Schilder eine Straße namens Rattenpfad, einen Fieberwinkel oder eine Gasse der Totengräber zu finden. Unterbrechen musste sie ihre Suche, weil es Weihnachten wurde und die Gruberin

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