Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
jedoch stehen. In einem schwerfällig fließenden Spanisch sagte sie: »Eine Person, die deine Sprache spricht, weiß ich. Gibt es dafür einen kleinen Lohn für leere Mägen von Kindern?« Sie streckte ihre braune Klaue aus, und Franzi legte ihr die Münze hinein, für die sie Tortillas hätte kaufen sollen. »Gibt hier eine gute Dame«, fuhr die Frau fort, »eine reiche Señora aus dem feinen Westen, die kommt her und leitet die Kirchenschule. Bringt unseren Kindern bei, wie man liest, wie man rechnet und wie man richtig spricht, wenn man im Leben eine Hoffnung haben will. Kostet keinen Centavo. Jeder, der mag, darf sein Kind bringen. Kannst mit ihr sprechen, wenn du willst, sie ist so blass wie du und sagt, ihre Familie ist vor vielen Jahren aus Deutschland gekommen.«
Drei Tage später wartete Franzi vor der schäbigen Küsterei auf die Frau, die sie sofort auf Deutsch ansprach. »Sie sind die junge Dame, die Hilfe bei der Suche nach einem Verwandten braucht, ja?«
Franzi entfuhr ein Lachen. »Eine Dame bin ich wohl kaum. Und der Verwandte, den ich such, ist nicht meiner.«
»Aber es geht um jemanden, der aus Hamburg stammt?«, fragte die Frau, deren Stimme so dünn erschien wie ihr fast weißes Haar. Dass sie im Sinne der Gruberin nicht reich war, sah Franzi ihren unscheinbaren Kleidern an, doch sie wirkte sauber und gepflegt, und gemessen an ihren eigenen Verhältnissen mochte sie geradezu vermögend sein.
»Nein, aus Hamburg ist der nicht«, antwortete Franzi.
»Dann werde ich Ihnen wohl kaum helfen können, denn meine Familie hat Hamburger Wurzeln. Aber ich könnte im Deutschen Haus für Sie fragen. Dort treffen die deutschen Einwohner von Mexiko-Stadt regelmäßig zusammen.«
»Die österreichischen Einwohner auch?«, fragte Franzi hoffnungsvoll.
Bedauernd schüttelte die Frau den Kopf. »Im Deutschen Haus darf nur Mitglied werden, wer deutsche Herkunft nachweisen kann oder mit einem Deutschen verheiratet ist. Wollen Sie mir Ihren Fall trotzdem schildern? Mein Onkel betreibt ein Warenhaus mit Gütern aus Europa. Dort verkehren alle möglichen Einwanderer. Nicht ausgeschlossen, dass einer von ihnen helfen kann.«
Die Hilfsbereitschaft der Fremden war Franzi ein Rätsel. Weshalb scheuchte sie eine lästige Bittstellerin nicht einfach weg? Aber sie unterrichtete ja auch die Kinder der Affenmenschen ohne Bezahlung und war vermutlich eine von denen, die hofften, durch ihre gute Taten ins Himmelreich zu gelangen. Sie vereinbarten, dass Franzi in der nächsten Woche mit der Gruberin wiederkommen würde. Diese sollte dann der Frau berichten, was immer sie über den verlorenen Neffen wusste.
In ihr verschimmeltes Domizil konnten sie sie nicht einladen, also würden sie wieder auf den Stufen vor der Küsterei mit ihr sprechen müssen. Die Gruberin kleidete sich dafür an, als ginge sie auf einen fürstbischöflichen Empfang. Ihren Hut, ihre Handschuhe, all die spitzenbesetzten Niedlichkeiten, die sie für die Begegnung mit dem Neffen aufbewahrt hatte, holte sie jetzt aus Hüllen und Schachteln. Wie sie in ihren eleganten Schühchen durch den Schlamm trippelte und ihr Hütchen festhielt, erweckte beinahe Mitleid in Franzi.
Die weißblonde Frau sprach, als ginge es ihr genauso. »Sie sind die Dame, die Ihren Verwandten sucht?«, fragte sie herzlich und reichte der Gruberin die Hand. »Wollen Sie ins Schulzimmer kommen? Es kann nicht angenehm sein, mitten auf der Straße von so schwerem Kummer zu sprechen.«
Das Schulzimmer roch nach Moder wie das ganze Viertel, aber die wackligen Tische und Bänke waren sauber poliert. »Ich bin Felice Hartmann«, sagte die Frau. »Darf ich Sie nach Ihrem Namen fragen?«
»Therese Gruber aus dem Kronland Tirol. Meine Mutter war eine geborene von Tschiderer.«
»Gruber?«, fragte Felice Hartmann, und ihr Gesicht veränderte sich.
»Therese Gruber-von Tschiderer«, wiederholte die Gruberin.
»Und es ist Ihr Bruder, den Sie suchen?«
»Mein Neffe«, verbesserte die Gruberin, und dann brach die ganze angestaute Geschichte aus ihr heraus. Sie erzählte der fremden Frau vom größten Schmerz ihres Lebens, dem Entschluss ihres vergötterten Bruders, als Offizier nach Mexiko zu gehen und dort für Kaiser Maximilian zu kämpfen. »Valentin war ein Bild von einem Mann und gesegnet mit jeder Tugend, die man sich bei einem jungen Adelsherrn nur wünschen kann. Er war verlobt mit der einzigen Tochter eines Barons und hatte eine Zukunft voller Verheißungen vor sich.« Die Gruberin
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