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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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dem Märchen erschienen war, starrte vor Dreck, stank nach Fisch, nach Fäulnis und Tod und war ein Schlangennest voller tödlicher Fallen. Die schwüle, feuchte Hitze war genug, um einem Menschen alle Kraft auszusaugen. Fette Insekten schwirrten in Schwärmen um das verdorbene Fleisch auf den Markttischen und um die Tierkadaver in den Straßengräben. Wer an der mörderischen Hitze nicht krepierte, dem machte ein messerstechender Bandit den Garaus, und wer dem entwischte, der holte sich ein Fieber wie die Gruberin.
    Kaum war es Franzi gelungen, mit Hilfe ihres kläglichen Spanisch ein Haus aufzutreiben, in dem man ihnen zu einem Wucherpreis ein verdrecktes Zimmer vermietete, da legte die Gruberin sich ins Bett, wie um nie wieder aufzustehen. Ihr verschrumpelter Leib glühte, als würde ein Feuer darin brennen, sie schwitzte sich die Seele aus dem Leib und kotzte schwarzen Schleim auf die schmutzigen Bodenkacheln.
    Schier unwiderstehlich war die Versuchung, ihre Koffer zu durchwühlen, alles Geld einzustecken und sich von dannen zu machen, auf dass die alte Hexe allein in ihrer schwarzen Kotze verreckte. Dass sie es nicht tat, war weniger christlicher Nächstenliebe geschuldet als vielmehr einer geradezu abergläubischen Furcht, dafür bestraft zu werden. Franzi schloss einen Pakt mit der göttlichen Allmacht, die sich um sie nie geschert hatte. Sie würde die Gruberin pflegen. Wenn sie starb, war sie frei, wenn sie lebte, würde Franzi dafür sorgen, dass sie nach Chapultepec kam, wo ihr verdammter Neffe wohnte. Danach hatte sie ihre Schuldigkeit getan und konnte reinen Gewissens ihrer Wege ziehen.
    War ihr Leben in der Heimat hart gewesen, so war in der Fremde jede kleinste Verrichtung ein Kampf. Allein um ein wenig Brot und Wasser einzukaufen, brauchte sie einen vollen Tag und kam am Ende mit merkwürdigen Pfannkuchen statt des Brotes zurück und mit einer Kanne Wasser, das zu trübe war, um es der Kranken einzuflößen. Sie musste ihren Vermieter anschreien, damit er ihnen etwas zum Trinken und halbwegs saubere Tücher besorgte, sie musste in eine Kirche gehen und betteln, damit man ihr den Weg zu einem Arzt wies, und mit alledem war sie so beschäftigt, dass sie gar nicht merkte, wie sich mehrere erstaunliche Dinge auf einmal vollzogen. Das Fieber der Gruberin begann zu sinken, und ihr Spanisch wuchs so schnell, dass ihr nach drei Wochen kaum noch auffiel, was sie sprach.
    Es dauerte ewig, bis die Alte wieder auf den Beinen war, und bis dahin schrumpfte ihr Geldvorrat, den die Gruberin in einem Brokatbeutel aufbewahrte. Alles kostete Unsummen – die Lebensmittel, das Zimmer, der Arzt und die sirupartige Arznei, die er verschrieb. Das Erste, was Franzi verriet, dass die Gruberin tatsächlich dem Totengräber von der Schaufel gesprungen war, war die Ohrfeige, die sie bekam, als sie mit Einkäufen vom Markt zurückkehrte. »Du hast mein Geld verschwendet!«, kreischte sie und verpasste ihr, wohl um etwas nachzuholen, gleich noch eine zweite auf dieselbe Wange. »Das Geld, das ich brauche, um meinen Neffen nach Hause zu bringen – hast du Hurenbalg dir gedacht, du kannst damit auf meinem Grab tanzen? Ich kann ja noch von Glück sagen, dass du nicht obendrein die Passagen verhökert hast.«
    Das nächste Mal lasse ich dich krepieren, schwor sich Franzi. Und ihre Passage würde sie in der Tat verhökern, sobald sie ihrer habhaft wurde. Die Gruberin konnte sowieso nichts damit anfangen, denn trotz allem war Franzi noch immer entschlossen, nicht mit ihr zurückzureisen. Mexiko mochte zum Gotterbarmen heiß sein, es mochte ein Hort des Drecks, der Verbrechen und Seuchen sein, aber es war der einzige Ort auf der Welt, an dem sie an ihr Haus kommen konnte. In den Nächten malte sie sich aus, wie sie in ihrem Haus die Tür verschloss, so dass niemand eindringen und ihr unverdient Ohrfeigen geben oder viel Schlimmeres mit ihr tun konnte. Dafür – für den Traum von Sicherheit und Würde in ihrem Haus – würde sie alles andere aushalten.
    Die Gruberin war dem Leben in Veracruz auch gesund nicht gewachsen. Sie setzte kaum je einen Fuß vor die Tür, sondern lag auf dem Bett und erging sich in Verzweiflung über das Schicksal ihres Neffen, der in diesem gottlosen Land dahinvegetieren musste. Franzi war klar, dass sie, wenn sie sich je von ihr befreien wollte, auf eigene Faust den vermaledeiten Neffen finden musste, und dazu hatte sie keinen anderen Anhaltspunkt als den Namen eines Ortes – Chapultepec.
    Wie sie sich

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