Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
brach ab, weil ihr die Stimme versagte.
»Es tut mir leid«, murmelte Felice Hartmann. »Liebe Frau Gruber, es tut mir um Sie und Ihren Bruder unendlich leid. Dieser Krieg hat auf beiden Seiten so viel Schmerz und Verwirrung gebracht, und durch die Trümmer, die er hinterlassen hat, kämpfen wir uns noch heute.«
Dankbar blickte die Gruberin auf, sammelte Kraft und erzählte den traurigen Rest der Geschichte. Der verheißungsvolle Bruder hatte sich totschießen lassen für einen größenwahnsinnigen Traum von einem Habsburger Kaiser in Mexiko. Was hatte jenen Maximilian auf die Idee gebracht, all diese braunen Affenmenschen hätten gern einen Österreicher zum Kaiser? »Valentin hat sein Leben für das Haus Habsburg gegeben«, schloss die Gruberin. »Aber hielt das Haus Habsburg es für nötig, wenigstens dem Toten Ehre zu erweisen und ihn zurück in die Heimat zu geleiten? Weit gefehlt. Wie ein Vieh verscharrt worden ist er in diesem abscheulichen, sittenlosen Land.«
Felice Hartmann legte ihre Hand auf die der Gruberin. »Vielleicht tröstet es Sie, Querétaro ist kein abscheuliches Land, sondern das schönste Land, das ich kenne. Ich war dort, als der Krieg damals endete und Maximilian von Habsburg füsiliert wurde. Verrohung gab es ohne Frage, wie überall, wo Kriege gegen das Fundament der Menschlichkeit wüten. Etliche Tote, die ihr Leben auf dem Schlachtfeld verloren, sind dennoch von christlichen Menschen christlich bestattet worden. Ich bin sicher, Ihr Bruder war einer von ihnen.«
Ungläubig starrte die Gruberin Felice Hartmann an. »Sie waren dort? In diesem Ort, wo mein Bruder starb? Aber dann haben Sie ja vielleicht von meinem Neffen gehört! Nach allem, was Valentins Kamerad Anton Mühlbach in Erfahrung gebracht hat, muss der Knabe nicht lange nach Valentins Tod geboren worden sein. Ich habe dieser Weibsperson, dieser Katharina Lutenburg, an ihre letzte mir bekannte Adresse geschrieben. Ich habe ein Vermögen für die Weiterleitung meines Briefes gezahlt, aber auf dem Postamt konnte man mir nur mitteilen, dass sich die Spur des Briefes irgendwo in Mexiko verliert, und eine Antwort von der Lutenburg habe ich nie erhalten.«
»Katharina Lutenburg«, wiederholte Felice Hartmann tief in Gedanken versunken. »Gewiss hat sie Ihren Brief nie erhalten, weil sie geheiratet hat und einen anderen Namen führt.«
»Wer soll die denn geheiratet haben?«, fuhr die Gruberin auf. »Eine Frau mit einem in Schande geborenen Kind?« Wieder schossen ihr Tränen in die Augen. »Das ist der schlimmste Gedanke von allen. Dass mein Neffe, Valentins einziges Kind, in Schande aufwachsen musste, nicht besser als meine Magd Franziska hier, das Balg einer Lotterin, dessen ich mich erbarmt habe. Valentins Sohn hat den Schutz einer Familie und die Gnade einer vornehmen Erziehung nie erfahren dürfen, und ich habe keinen Wunsch mehr, als es an ihm gutzumachen. Seine Passage habe ich bereits gebucht. Sobald ich ihn gefunden habe, werde ich mit ihm heim nach Tirol reisen und dafür sorgen, dass er alles, was ihm zusteht, auch bekommt.«
Die Hände der Gruberin zitterten. Als Felice Hartmann ihre Hand zurückzog, sah Franzi, dass auch die ihre nicht ganz ruhig war. »Gestatten Sie mir eine Frage«, sagte sie. »Was macht Sie so sicher, dass Sie einen Neffen haben?«
»Der Toni Mühlbach hat es doch zweifelsfrei herausgebracht!«, rief die Gruberin. »Und jene Offiziersgattin, Elisabeth Lechner, hat die fehlenden Teile ergänzt. Valentin hatte sich von einer Deutsch-Mexikanerin namens Katharina Lutenburg verführen lassen, wie es einem Mann in der Fremde eben geschieht. In der Nacht, in der er sterben musste, hat er seinen Offizierskameraden anvertraut, dass die Lutenburg ein Kind von ihm bekommt. Folglich muss sein Sohn kurz darauf geboren worden sein, und folglich habe ich einen Neffen, das ist ja wohl nachzuvollziehen, oder nicht?«
»Nicht ganz«, erwiderte Felice Hartmann und wartete, bis die Gruberin sie ansah. »Sie haben recht«, fuhr sie endlich fort, »das Kind Ihres Bruders ist nicht lange nach seinem Tod geboren worden. Dass es überlebte, grenzt an ein Wunder, denn in der belagerten Stadt wäre die schwangere Mutter verloren gewesen, hätte nicht ein Offizier der Gegenseite sie unter Einsatz seines Lebens befreit.« Noch einmal machte die Frau eine Pause, ehe sie langsam die letzten Worte hinzufügte: »Von Ihrer Vorstellung werden Sie sich allerdings trotzdem trennen müssen. Sie haben keinen Neffen, Frau Gruber,
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