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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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Base Elena zupfte sie am Ärmel, als könnte sie Gedanken lesen. »Wir helfen Miguel nicht, wenn wir Trübsal blasen, Ana. Lass uns doch gehen – die anderen tanzen ja schon!«
    Unter dem Rock des neuen Kleides war Elena anzusehen, wie ihr die Musik in den Beinen pulsierte. Ungeduldig trippelte sie von einem Fuß auf den anderen, und verblüfft bemerkte Anavera, dass es ihr nicht anders erging. Ja, sie wollte tanzen, wollte dieses Fest genießen, die Nacht, die sternenhell sein würde, und den verwirrenden Duft des Sommers. Aber war das gerecht? Miguel saß im Belem-Gefängnis, von dem Tomás erzählt hatte, dass die Zellen weder Licht noch Fenster hätten und die Häftlinge zu Dutzenden zwischen die schimmligen Wände eines einzigen Raums gepfercht würden. Und Josefa, die Hauptperson dieser Festnacht? Auf einem Tisch bei der Kapelle standen ihre Geschenke aufgebaut, doch die Schwester war nicht heruntergekommen. Das rote Kleid, das sie sich aus einem Pariser Modemagazin ausgesucht hatte, würde leer und schlaff vor ihrem Schrank hängen.
    Wie konnte Anavera sich amüsieren, wenn es doch Josefas Fest war und Josefa sich die Seele aus dem Leib weinte?
    »Wenn du nicht kommst, dann gehe ich ohne dich!«, rief Elena und wies auf die Tanzfläche, wo die Jugend der Gegend sich paarweise zum Kreis stellte, um einen Vals mexicano zu tanzen. Beinahe ein europäischer Tanz – und einer, dem selbst Josefa kaum je widerstand. Ein einzelner junger Mann drückte sich in der Reihe herum und winkte zu ihnen hinüber. Acalan, der schlaksige, schüchterne Sohn eines Pächters, an den Elena ihr Herz verloren hatte. Die Base warf Anavera einen sehnsüchtigen Blick zu. »Geh schon«, rief Anavera schnell. »Ich warte auf Josefa.«
    »Willst du warten, bis du schwarz wirst?«, fragte Elena, mit einem Fuß bereits auf der Stufe der Veranda.
    Anavera schüttelte den Kopf. »Sie wird schon kommen. Du lauf, lass dir den Vals nicht entgehen – und deinen Acalan erst recht nicht.«
    Elena warf ihr einen dankbaren Blick zu, sprang die Stufe hinunter und eilte ihrem Liebsten entgegen. Der junge Mann, der aus ärmsten Verhältnissen stammte, wagte nicht, offen um die Nichte des Gouverneurs zu werben, und so blieben die Augenblicke, die Elena sich mit ihm stehlen konnte, seltene Kostbarkeiten. Mit einem machtvollen Schrammeln der Geigen und einem Trompetensignal begann der Tanz. Die jungen Leute, die die Becher mit Wein und Pulque gefüllt hatten, zogen mit ihren Tabletts los, um den Gästen Getränke anzubieten, und Anavera blieb allein auf der Veranda zurück. Jetzt komm schon herunter, beschwor sie Josefa stumm. Die Nacht ist so schön, und alle haben sich so viel Mühe gegeben. Warum gibst du uns eigentlich nie die Chance, dir zu zeigen, dass wir dich mehr als alles andere lieben?
    Im tanzenden Licht der Lampions sah sie einen Schatten, der auf die Veranda zuschoss und sich geschmeidig wie ein Berglöwe über die hölzerne Balustrade schwang. Gleich darauf stand Tomás vor ihr, so dicht, dass sie spürte, wie sein Körper vor Erregung bebte. Sein goldbraunes Haar fiel ihm ins dunkle Gesicht, und als er es unwirsch in die Höhe blies, fiel es gleich wieder hinunter. So war Tomás. Immer berstend vor Leben. Er legte die Arme um sie.
    »Weshalb will denn mein Armadillo nicht tanzen? Was ist ein Fest wert, wenn das süßeste Tierchen sich in seinem Bau verkriecht?«
    Sie musste lachen. Er nannte sie Armadillo, seit sie Kinder waren. Damals war sie pummelig gewesen und hatte sich, zumindest behauptete er das, in der watschelnden Gangart eines Gürteltiers bewegt. »Ich will auf Josefa warten«, sagte sie und lehnte sich an seine Brust. »Meinst du nicht, es würde sie noch wütender machen, wenn ich mich auf ihrem Fest vergnüge, während sie es versäumt?«
    Tomás küsste ihr den Scheitel. »Josefa zwingt aber niemand, ihr Fest zu versäumen«, entgegnete er. »Weißt du eigentlich, dass du von klein auf damit beschäftigt bist, Josefa vor irgendetwas zu bewahren, was sie sich selbst antut? Und dass du dafür auf alles Mögliche verzichtest? Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt nicht nach Josefas Pfeife tanzt, Armadillo. Und sosehr ihr es euch wünscht, weder du noch dein Vater könnt die Welt dazu zwingen.«
    »Aber es macht mir gar nichts aus, auf sie zu warten«, protestierte Anavera.
    »Dir vielleicht nicht«, sagte er. »Mir hingegen schon. Ich will mit dir tanzen. Zählt das, was ich will, vielleicht nichts?«
    »Doch

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