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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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der Männer ihren Fächer auf den Bauch. »Hast du dir angeschaut, was für entzückend schlanke Hüften Benito Alvarez im Kummerbund noch immer hat? Da sehen wir Frauen über die Farbe doch gern mal hinweg.«
    Alles brüllte vor Lachen. Josefa presste sich die Hände auf die Ohren und floh auf den Balkon. Hier waren vor allem Paare versammelt, deren Damen sich kichernd und winkend über die Brüstung lehnten. Die Gondel des Luftschiffs, in der die vier scheußlichen Judasfiguren saßen, wirkte zum Greifen nah.
    Einer der Herren, mit denen sie gekommen waren, reichte Josefa einen grünen, gezuckerten Cocktail. »Nett, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte er und beglotzte ihre entblößte Schulterlinie wie ein Kind den Rüssel eines Ameisenbären.
    »Wo ist Jaime?«, fragte Josefa.
    Mit einer Kopfbewegung wies ihr Gegenüber in einen Winkel unter der rot-weiß-grün gestreiften Markise. Dort stand Jaime mit einer brünetten Dame im hochgeschlossenen Kleid. Sie tranken Champagner aus hohen Flöten, hoben beide zugleich die Gläser und stießen diskret, fast unhörbar miteinander an.
    »Jaime!«, rief Josefa, viel zu verstört, um sich zu besinnen.
    Schön wie selten und ein wenig träge wandte er den Kopf. »Was gibt es denn? Ist dieses grüne Gift nicht nach Ihrem Geschmack?«
    Wieder lachte irgendwer, aber Josefa hörte nur eines: Er sprach sie an wie eine Fremde!
    »Ich muss mit dir reden«, stammelte sie. »Liebster, wenn ich dich irgendwie verärgert habe, wenn du böse auf mich bist …«
    Jemand packte sie am Arm. »Das ist genug jetzt, Señorita. Sie sollten sich nicht noch tiefer erniedrigen.«
    Sie fuhr herum. Der Mann – wie alle hier ein elegant gekleideter Weißer – führte sie resolut von Jaime fort in die andere Ecke des Balkons. »Lassen Sie mich los! Was wollen Sie von mir?«
    »Die Leute haben Langeweile«, erwiderte der Mann, der hager, fast kahlköpfig und hochgewachsen war. »Sie suchen ein Opfer, das ihnen die halbe Stunde bis zur Sensation des Abends vertreibt. Ich versuche Sie daran zu hindern, sich als dieses Opfer anzubieten.«
    »Was geht das Sie an?«
    »Nicht viel. Aber ich gehöre zu den zahllosen Menschen, die Ihren Vater schätzen, und ich gehe davon aus, dass er im Zweifelsfall für meine Tochter dasselbe täte. Sie sollten übrigens dieses Glas besser nicht bis zur Neige leeren. Wenn der schöne Andalusier es wirklich wert ist, dass Sie sich um seinetwillen betrinken, hole ich Ihnen Champagner. Zumindest ist Ihnen morgen nicht ganz so jämmerlich übel davon.«
    Josefa war bereits jetzt zum Speien übel, andernfalls hätte sie den Mann, der ohne Federlesens ihre Gläser austauschte, in die Schranken gewiesen. »Wer sind Sie überhaupt?«, herrschte sie ihn an.
    Der Mann vollführte eine knappe Verbeugung. »Eduardo Devera, Chefredakteur von El Tiempo. Nicht eben die weltbewegendste Zeitung dieser Stadt, aber immerhin eine von denen, die noch zucken und atmen.«
    Eduardo Devera. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass ihr Vater – der Mann, der nicht ihr Vater war – diesen Namen erwähnt hatte. Ihre Arbeit fiel ihr ein, ihre leidenschaftliche Schrift über ein Entwässerungsprojekt, das Kindern das Leben retten sollte. Kindern wie jenem kleinen Jungen, dem sie ihren Armreif geschenkt hatte. War das wahrhaftig sie gewesen? Josefa schwankte.
    »Ist Ihnen nicht wohl? Hören Sie, ich kann Sie gerne nach Hause bringen. Ich kann auch jemanden verständigen, wenn Sie das wollen.«
    Josefa kämpfte gegen das Schwindelgefühl und schüttelte den Kopf. »Das mag sehr aufmerksam von Ihnen sein, aber ich brauche keine Hilfe. Ich bin mit Don Jaime hier. Don Jaime Sanchez Torrija.«
    »Sind Sie das?« Aus runden Eulenaugen sah der hagere Mann auf sie hinunter. »Ich fürchte, er ist aber nicht mit Ihnen hier. Und auch wenn es mir um Sie mehr als um alle anderen leidtut – Sie sind wahrhaftig nicht die Einzige, der es derart ergeht.«
    Josefa zwang sich, die Schultern zu straffen. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    »Von Don Jaime, dem schönen, bösen Andalusier oder auch dem prächtigen Truthahn der Nacht. Ich bin ja nun kein liebliches Mädchen in prangenden Jugendjahren, sondern ein Zausel, dem der Bart schon grau wird, aber dass ein derart erlesenes Exemplar eine Dame mit Haut und Haar gefangennimmt, kann sogar ich verstehen. Darf ich Ihnen einen Rat geben? Betrinken Sie sich eine Nacht lang, weinen Sie eine zweite, und dann vergessen Sie ihn. Er ist in der Tat ein Schöner,

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