Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Ihr Bett war ihr Himmel, in dem sie sich wie schwerelos umschlungen hielten. Er war ihr Mann. Er würde es für immer sein. Sie hatten jetzt ihr Geheimnis miteinander, das sie wie mit Ketten aneinanderschmiedete: Er wusste, was sie für ihn getan hatte. Sie hatte alle Taue gekappt, alle Brücken abgebrochen und sich mit Haut und Haar in seine Hand begeben. Das war in Wahrheit sein Wunsch gewesen, und dafür, dass sie ihn erfüllt hatte, belohnte er sie ohne Ende. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass ein so harter Mann so zärtlich sein konnte, dass ein so beherrschter Mann so viel Leidenschaft in seinem Inneren barg. Wenn sie bisher nicht gewusst hatte, ob er sie liebte, dann wusste sie es jetzt. Auch wenn sie sich sehnlichst wünschte, er möge einmal seine Schranken überwinden und es ihr in Worten sagen.
Sie sagte es ihm immerzu.
Am Morgen, hinter den schwarzen Vorhängen, als sie wundgeliebt und übernächtigt einander in den Armen lagen, sagte er: »Ich muss jetzt gehen, kleine Josefa Alvarez. Du schlaf dich aus. Ich sage Elvira, sie soll keinen Lärm machen und dein Frühstück richten, wann immer dir danach ist.« Um seine Lippen spielte frei von Bitterkeit ein Lächeln. Sie beugte sich vor und küsste ihm die kleine Kerbe im Mundwinkel.
»Du bleibst nicht lange weg, nicht wahr? Du kommst früh am Abend wieder?«
»Das weiß ich noch nicht«, antwortete er. »Der Mann, den wir nach Yucatán entsandt haben, um unsere neuen Plantagen zu inspizieren, ist erfolglos zurückgekehrt. Er ist von Rebellen überfallen worden und sah sich gezwungen zu fliehen. Ich werde heute Abend mit ihm essen und mir den Bericht dieses Versagers anhören müssen.«
»Dann bleibe ich wach, bis du kommst.«
»Tu das nicht, mein Herzchen. Wenn es spät wird, schlafe ich vielleicht in der Calle Tacuba.« Er küsste sie auf die Nase. »Und jetzt frag mir kein Loch mehr in den Bauch, sondern sei ein braves Mädchen, das sich schlafen legt und geduldig wartet.«
Sie rollte sich zusammen, und er stand auf und deckte sie zu.
»Kannst du mir nicht etwas hierlassen, Liebster? Etwas von dir, das hier bei mir bleibt, während ich mich nach dir sehne?«
»Und was soll das sein?«
Auf ihrem Nachtkasten lag eine kleine Schere. Die schnappte sie sich, schnitt ihm rasch eine Strähne von der Schläfe und ließ das holzschwarz glänzende Haar wie einen Schatz durch ihre Finger gleiten.
»Bist du verrückt geworden? Soll ich mich zum Narren machen, weil du mir das Haar verschnitten hast?«
Mit fliegenden Griffen bemühte sie sich, ihm das Haar über die beraubte Stelle zu ordnen. »Dein Haar ist nicht verschnitten. Du bist genauso schön wie vorher. Nein, noch schöner.«
Er wollte ihr böse sein, musste aber lachen.
»Jetzt habe ich etwas von dir«, erklärte sie stolz. »Und ich will noch etwas. Sag mir ein einziges Mal, dass du mich liebst.«
Hätte er sie brüsk abgewehrt wie in der Vergangenheit, so hätte es sie nicht überrascht. Aber er setzte sich noch einmal auf das Bett und strich ihr sachte über Stirn und Wange. »Das kann ich ja nicht, kleine Josefa Alvarez. Aber wer weiß – wenn ich ein Mensch wäre, der einen anderen lieben könnte, vielleicht hätte ich dann dich verrückte kleine Kreatur geliebt.«
All das Geziere, mit dem er sich drum herumwand, fand sie rührend, und es machte ihr nichts aus. Er hatte ihr gesagt, was sie hören wollte: Sie war seine Frau. Die einzige, die er lieben konnte. Darüber schlief sie ein.
Auf die Nacht der Seligkeit folgte das Elend hinter den schwarzen Vorhängen.
Als Jaime am ersten Abend nicht wiederkam, vermisste sie ihn, aber sie zehrte noch von den gerade verklungenen Wundern. Auch noch am zweiten Tag und ein wenig am dritten. Dann nicht mehr. Am fünften Tag war sie vor Sorge krank, und am siebten Tag hielt sie es nicht mehr aus. Ehe sie in der verdunkelten Wohnung den Verstand verlor, zog sie los, um ihren Liebsten zu suchen. Vor dem Nationalpalast, wo sie ihn immer wieder getroffen hatte, wartete sie, doch dann bekam sie Angst, sie könnte dem Mann, der nicht ihr Vater war, begegnen, und floh. Ziellos zog sie durch die Straßen, an den Orten vorüber, an denen sie zusammen gewesen waren. Dann wieder packte sie Sorge, er sei inzwischen womöglich nach Hause gekommen, und sie griff den nächsten Mietwagen auf, um in ihre dunkle Wohnung zurückzufahren.
Zwei Wochen wartete sie schon vergeblich auf ihn, und die Straßen der Stadt waren mit Palmwedeln, Blumen und lebensgroßen
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