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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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unser Andalusier. Und eine Art von Charisma, die nie aus Wassern ohne Tiefe kommt, besitzt er auch. Aber er ist ein bisschen wie ein edles Vollblutfohlen, das jemand zu früh und zu brutal gebrochen hat. Er hat noch immer ein Exterieur und Gangarten, nach denen man sich die Finger lecken möchte, aber das zerbrochene Herz ist tückisch. Er schnappt nach der Hand, scheut vor dem Zaum zurück und bricht der nächsten Reiterin, die sich ihm anvertraut, das Genick.«
    Josefas Herz schlug in harten Sprüngen, die ihr weh taten. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, wiederholte sie mit größter Anstrengung. »Jaime Sanchez Torrija ist mein Verlobter. Ich gehe davon aus, dass Sie ehrenwerte Gründe hatten, sich in unser Gespräch zu mischen, aber jetzt ziehen Sie sich bitte zurück und lassen uns unseren Frieden.«
    Eduardo Devera trat einen Schritt zur Seite und sah aus seinen Eulenaugen auf sie hinab. »Arme Kleine«, sagte er. »Arme kleine Josefita. Sollten Sie später auf meine Hilfe zurückgreifen wollen, scheuen Sie sich bitte nicht, mich aufzusuchen. Ich denke, ich werde wohl oder übel noch eine Stunde in dieser illustren Manege verbringen müssen.«
    Erneut verbeugte er sich und verließ den Balkon. Ein Teil von ihr verlangte danach, ihn zurückzurufen und sich nach Hause fahren zu lassen. Wo aber war sie zu Hause, wenn Jaime nicht mit ihr kam? Gegen die Übelkeit trank sie Champagner. Ein Schrei der Begeisterung erschreckte sie. Gleich darauf folgte ein zweiter, und dann brach die Horde Mädchen an der Brüstung in frenetischen Applaus aus.
    Unwillkürlich schob sich Josefa näher an die Brüstung und sah, dass das Luftschiff sich entfernte, wobei es leicht im Abendwind tänzelte. Es schwebte nur ein kurzes Stück weit, auf die nächste Straßenecke an der Calle Francisco zu, wo drei Häuser ein enges Dreieck bildeten. Dort auf einem der Balkone standen Männer, die an Seilen beim Lenken halfen, und der knappe freie Platz darunter war schwarz vor Menschen. Keine schönen, weißen, elegant gekleideten Menschen, wie sie sich auf den Balkonen zum Zuschauen scharten, sondern dunkelhäutige Menschen in Lumpen, die entdeckt hatten, dass die vier Judasfiguren – der Sänger, der Bettler, der Butterverkäufer und der indianische Barbar – mit Ketten aus Münzen behängt waren. Über den Dächern ging in Rot, Violett und Zinnober die Sonne unter. Die Todesstunde des Heilands war gekommen, und auf einen Schlag läuteten alle Glocken der Stadt.
    Im selben Atemzug übertönte donnerndes Getöse das Läuten. Gleichzeitig explodierten alle vier Judasfiguren und versprühten ihren Reichtum – eine Unzahl von Münzen, die wie ein Hagelsturm auf die wartende Menschenmasse niederging. Von einer einzigen dieser Münzen konnte jeder der Männer vermutlich eine Woche lang seine Kinder füttern oder eine Nacht lang Pulque, Balsam der Wehmut, saufen. Es waren aber beileibe nicht nur Männer, die an der Ecke der Calle Francisco auf den hagelnden Segen gewartet hatten, es waren ebenso Frauen und etliche Kinder, und der schmale Platz war schon, solange sie unbewegt standen, viel zu klein für sie gewesen.
    »Nicht!«, hörte Josefa sich schreien. »Die Leute trampeln sich dort unten ja tot!« Das Schreien war sinnlos, denn die Judasse waren ja längst explodiert, die Münzen ließen sich nicht im Fallen halten, und die Menschen würde niemand hindern, übereinanderzutaumeln, zu drängen, zu stürzen und Schwächere unter sich zu begraben. Die Mädchen, die in ihren Rüschenkleidern an der Brüstung standen, klatschten in die Hände und stießen spitze Laute der Erregung aus.
    Josefa presste sich die Hände auf die Ohren und schrie. Ihre Augen, die sie hätte zukneifen wollen, blieben weit aufgerissen auf das Schlachtfeld gerichtet.
    »Komm weg hier. Hör auf, wie am Spieß zu brüllen.« Als ein Arm sie von hinten umfing und zurückzog, bemerkte sie als Erstes zwei Dinge – seine Stimme und seinen Geruch. Balsam inmitten von Entsetzen. So wie sie sich vor Grauen schütteln wollte, so schüttelte auch er sich. Jaime. »Widerlich. Zwischen den Barbaren da draußen und denen hier oben ist kein Unterschied.«
    Er zog sie kurzerhand zurück in den Saal, die Treppe hinunter und aus einem Hinterausgang hinaus in den Patio. Haltlos weinend hielt sie sich an ihm fest, presste ihr Gesicht gegen seine Brust und hörte sein Herz schlagen. »Liebster, mein Liebster«, schluchzte sie, »bitte tu doch etwas. All die Menschen, die Kinder, sie

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