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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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prallten oder ihn unvermittelt berührten, hatte sie bereits beobachtet, doch hier musste sie ihn regelrecht steuern, so verschreckt wand er sich durch die Massen. Auch wagte er nicht, seine Koffer einem Träger anzuvertrauen, sondern schleppte sie selbst. Dieser Mann, der sich zum Feind so vieler Menschen aufschwang, bewegte sich hier mit einer Vorsicht, als wäre er in der ganzen Stadt von Feinden umringt. Erst jetzt fiel ihr auf, wie seltsam es war, dass ein Weißer seines Standes ohne Diener reiste.
    Die Hotelagentur riss sich kein Bein aus, um dem Erben des Sanchez-Torrija-Vermögens ein Zimmer anzutragen. Durch die Verspätung etlicher Züge sei so gut wie alles belegt. Lediglich ein Zimmer in Hafennähe, kurz hinter dem Malecon, könne man ihm bieten. Sein Schimpfen und Zetern nützten ihm nichts. Er musste das Pensionszimmer in dem verrufenen Viertel schließlich nehmen, wenn er nicht auf der Straße nächtigen wollte.
    »Ich brauche ein zweites Zimmer für die Dame.«
    Der Mann, der hinter der Theke ein Magazin mit Karikaturen studierte und in dicken Schwaden rauchte, zuckte mit den Schultern. »Zwei hab ich nicht. Sie nehmen dieses oder keines – liegt ganz bei Ihnen, Señor.«
    Es gab Schlimmeres. Sie hatten bereits eine Nacht gemeinsam in einem Zugabteil verbracht und hatten es überlebt. »Ich finde einen Platz auf dem Gang«, versicherte sie ihm. »Auf jeden Fall nehme ich Ihnen nicht wieder Ihr Bett weg – nur waschen würde ich mich furchtbar gern.«
    »Die werden uns das verdammte zweite Zimmer schon geben«, bellte er, und sie brachen auf.
    Die nächtliche Stadt war ein dunkles Geheimnis, ein Irrgarten aus miteinander verzahnten Straßenblöcken, flachen Dächern zwischen himmelhohen Palmen, weißen Fassaden und schwarzen Ruinen, im Schlaf wispernd unter einer Glocke aus schwüler Luft. Gehüllt war die verwahrloste Schöne in ein Duftgemisch nach süßen verwelkten Blumen und rohem verdorbenem Fisch. Die Gasse, an deren Ende die Pension lag, war so schmal, dass ihr Mietwagen sich nicht hineinzwängen konnte. Sie mussten den unebenen Weg zu Fuß gehen. Unter der blakenden Laterne entdeckte Anavera einen Straßenhändler, der gerade sein Tuch und seine Waren zusammenpackte. Als sie sah, was er feilbot, vergaß sie vor Freude ihre Lage. »Geröstete Kürbiskerne«, rief sie. »O bitte, Sie müssen mir Kürbiskerne kaufen.«
    »Warum muss ich?«
    Auf einmal kam sie sich dumm vor und ließ die Arme hängen. »Meine Mutter taucht sie in Kichererbsenmus«, antwortete sie. »Sie sagt, das sei das köstlichste Essen der Welt.«
    Er hob eine Braue und sandte ihr einen mehrdeutigen Blick. Dann ging er und kaufte dem Mann die in Packpapier gewickelten Kürbiskerne und einen Tiegel mit Kichererbsenmus ab. »Hier, nehmen Sie. Wenn Sie sich an dem Zeug vergiften, geben Sie nicht mir die Schuld.«
    Die winzige alte Frau, die die Pension offenbar allein betrieb, hatte kein zweites Zimmer, das sie Sanchez Torrijas Sohn für all sein Geld zur Verfügung stellen wollte. »Sie nehmen das eine«, bestimmte Anavera eilig. »Ich habe Ihnen doch gesagt, es macht mir nichts aus, auf dem Gang zu schlafen.«
    »Hören Sie auf, dumm zu schwatzen«, fuhr er sie an. »Jetzt gehen Sie schon, legen Sie sich schlafen. Ich suche mir ein anderes Hotel. Morgen früh hole ich Sie ab und nehme Sie wieder mit zum Bahnhof.«
    Im Licht der funzeligen Gaslampe sah sie, wie erschöpft er war. Mit seiner Art, ständig gegen jede Gegebenheit anzukämpfen, hatte er sich völlig verausgabt. »Kommen Sie wenigstens mit und teilen meine Kürbiskerne«, entfuhr es ihr. Zwar zögerte er und blieb lange unschlüssig stehen, letzten Endes aber war er zu verblüfft, um abzulehnen.
    War dies die seltsamste Nacht ihres Lebens?
    Er nannte das Zimmer, in dem es nicht mehr als ein schmales Bett, einen Stuhl und einen Waschtisch gab, eine Dreckshöhle, sie fand es durchaus erträglich und musste über ihn lachen. »Meine Tante Xochitl sagt, wer sich ständig aufregt, stirbt jung«, erzählte sie.
    »Und kann einem etwas Besseres passieren?«, fragte er.
    Anavera dachte an Coatl, an Abelindas Kinder und an den Mann, der sich vor den Zug geworfen hatte, und musste nicht mehr lachen.
    »Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«
    »Nein«, erwiderte sie und legte den Tiegel und das Päckchen auf dem Boden aus. Da die Lampe nicht funktionierte, zündete sie eine Kerze an. »Ich überlege nur, ob Sie wirklich ein solcher Idiot sind oder ob Sie mir leidtun

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