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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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sollten.«
    Er schnaufte. »Glauben Sie, ich will von Ihnen Mitleid?«
    »Nein«, sagte Anavera. »Also sind Sie ein Idiot. Jetzt setzen Sie sich hin und essen Kürbiskerne. Das zumindest werden Sie ja tun können, ohne sich aufzuregen, ohne irgendwen zu beschimpfen oder Ihre Schultern zu verkrampfen, dass mir allein vom Hinschauen jeder Muskel aufjault.« Er stand wie vom Donner gerührt, und Anavera hielt es nicht mehr aus. Sie trat vor ihn hin, legte ihm die Hände auf die Schultern und drückte ihn nieder. »Es ist gar kein Krampfen nötig«, sagte sie, als ihre Finger die Härte ertasteten. »Ich tue Ihnen nicht weh, und Sie haben so viel Stoff auf den Schultern, dass Sie meine Finger gar nicht spüren.«
    »Was bringt Sie auf die Idee …«
    »Scht«, machte sie. »Mund halten und Kürbiskerne essen. Und wenn Sie sich nicht trauen, weil Sie sich vor Kürbiskernen fürchten, machen Sie eben erst einmal eine Flasche von Ihrem göttlichen Wein auf.«
    »Den Wein mochten Sie?«, fragte er geradezu eingeschüchtert. »Frauen verstehen für gewöhnlich nichts vom Wein, sondern schlürfen lieber giftgrünes Zeug aus mit Zucker beschmierten Gläsern.«
    »Mein Vater kauft solchen Wein«, erwiderte Anavera. »Er sagt, er sei das ehrlichste alkoholische Getränk der Welt. Er sieht so aus, wie er schmeckt, er duftet, wie er wärmt, und er macht einen Rausch, der die Welt nicht auslöscht, sondern nur in schmeichelnde Seide hüllt. Und am nächsten Morgen schlägt er einem nicht zur Strafe den Schädel ein, er gibt sich mit ein bisschen Druck auf die Stirn zufrieden, den man ohne allzu viel Gejammer aushalten kann.«
    Alles hatte sie erwartet, aber nicht, dass Sanchez Torrijas Sohn lachen musste. »Und Sie?«, fragte er. »Finden Sie das auch?«
    »Ich habe nicht viel Erfahrung mit alkoholischen Getränken«, gab sie zu. »Aber ich mag, dass er so sehr nach Erde schmeckt. Das hört sich dumm an, ich meine, er schmeckt nicht, als wären Krümel darin oder sogar Würmer, aber …«
    »Ich weiß, was Sie meinen«, sagte er ruhig. Und dann erzählte er ihr von den weißen Kalkhängen im Norden Spaniens, von dem Wein, der sich durch seine Erde regelrecht kämpfen musste und der deshalb ihre Kraft in sich trug. Zum ersten Mal nach dem ganzen Geschimpfe und den menschenverachtenden Reden begriff Anavera, warum Josefa behauptet hatte, seine Stimme sei schön. Als er fertig war, schwieg sie noch eine Weile, um den Worten nachzulauschen, nahm ihm dann die Flasche ab und öffnete sie.
    Sie hatten keine Gläser, nur einen silbernen Reisebecher aus einem Fach seines Koffers. »Haben Sie gern in Spanien gelebt?«, fragte sie.
    »Ich habe überhaupt nicht gern gelebt«, antwortete er. »Das Leben stinkt mir zu sehr. Aber ich mochte Spanien gern.«
    »Und ich mag, wie Sie das gesagt haben.«
    »Warum?«
    »Weil es so klang, wie es sich in meinem Kopf anhört, wenn ich an Querétaro denke.«
    Sie goss den Wein in den Becher und hielt ihn dann zwischen ihnen hoch. Irgendwann wurde der Arm ihr schwer, und sie mussten lachen, weil keiner von ihnen sich entschließen konnte, als Erster zu trinken.
    »Die Dame zuerst«, sagte er. »Immerhin gehört es sich so.«
    »Und Sie sind sicher, dass das auch für Gelage auf Zimmerböden mit einer wenig damenhaften Barbarentochter gilt?«
    Etwas musste die drückende Luft von Veracruz mit ihm gemacht haben, denn er kämpfte schon wieder gegen ein Lachen. »Wollen Sie jetzt meinen Wein beleidigen, indem Sie ihn schal werden lassen, oder wollen Sie ihn trinken?«
    Sie trank und gab ihm den Becher. Der Wein war noch besser als im Zug.
    »Und jetzt beweisen Sie mir Ihren Mut und essen einen Kürbiskern.«
    Er schüttelte sich. Als sein sonst so penibel gekämmtes Haar ihm in die Stirn fiel, sah er geradezu menschlich aus. »Ich fürchte mich nicht, aber mein Wein tut es.«
    Etwas hatte die drückende Luft von Veracruz auch mit Anavera gemacht. Übermütig tauchte sie einen der großen grünlichen Kerne erst in den roten Wein, dann in das gelbweiße Mus der Kichererbsen. »Jetzt ist es Mexikos Fahne, jetzt müssen Sie es essen«, rief sie und schob ihm den Kern zwischen die Lippen. Er fuhr so heftig zusammen, dass es ihr augenblicklich leidtat. »Bitte entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    Mit dem Kern zwischen den Lippen wirkte er hilflos und ein wenig komisch. Noch immer unsicher holte er ihn mit der Zunge ein, ließ ihn im Mund kreisen und schluckte ihn. »Keine Ursache«, sagte er

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