Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Stock, aber diesmal schlug er nicht zu.
Wie sein Tag verlaufen sei, fragte sie ihn nur einmal. Leicht gequält verzog er den Mund und meinte: »Du gönnst es mir, oder? Ich fürchte, ich habe es nicht besser verdient.«
»Ach was«, sagte sie und konnte ihn nicht länger ansehen. »Wer wird davon, dass er bekommt, was er verdient, schon ein besserer Mensch?«
Eine Weile war nichts zu hören als das Schaben ihrer Löffel in den Holzschüsseln, ohne dass einer von ihnen aß. »Anavera«, sagte er dann, »kann ein guter Mensch einen schlechten lieben?«
Anavera sah in den gelblichen Brei in ihrer Schüssel, in den sie mit dem Löffel Kreise malte. »Gib mir Zeit. Lass mich darüber nachdenken.«
»Du brauchst es mir gar nicht zu sagen«, erwiderte er. »Ich glaube, ich habe vor der Antwort Angst.«
Es vergingen noch fünf Tage. Keine Nachricht traf ein, und der Gesandte kehrte Abend für Abend ohne Geld vom heiligen Cenote zurück. Das Feld war fertig abgeholzt, und am nächsten Morgen sollte das Holz verbrannt werden, doch dann fiel stundenlang Regen und durchnässte die Stämme, so dass sie auf Wochen nicht brennen würden. Die Männer waren übler Laune. Als die Wächter am Abend Jaime brachten, wirkte er erschöpfter als je zuvor. Er war zu groß für den Eingang der Choza und musste sich ducken, um einzutreten. Als er es langsamer als gewöhnlich tat, stieß ihm einer der Wächter den Stiel seiner Spitzhacke in den Rücken. Jaime krümmte sich nach vorn, fing sich ab und blieb stehen. Der Mann sah, dass er weder taumelte noch weiterging und stieß noch einmal zu. »Wird’s bald, du Dreck? Geh voran, oder hättest du gern eins mit der anderen Seite?«
Jaime blieb stehen. Der Mann stieß ein drittes Mal zu.
Anavera sah nur die Spitze der Hacke, das scharfe, blitzende Metall. »Herrgott, komm doch rein!«, schrie sie. »Willst du, dass er dich umbringt?«
»Das kann ich doch nicht«, erwiderte Jaime. »Ich kann mich doch nicht vor dir so würdelos betragen.«
»Natürlich kannst du«, schrie Anavera rasend vor Angst, denn sie hatte entdeckt, dass Iacinto Camay hinter die Wächter getreten war. »Komm verdammt noch mal in die Hütte, du Idiot!«
Der Wächter stieß Jaime in den Rücken und beschimpfte ihn mit einer Flut von Worten in Mayathan. Jaime blieb stehen und sah in Anaveras Augen.
»Ruhe!«, rief Iacinto Camay auf Spanisch und schob sich an Jaime vorbei. Er war nicht ganz so groß und wesentlich schmaler gebaut. »Du machst, was dir gesagt wird, hörst du, Dzul?« Er packte eine Haarsträhne über Jaimes Schläfe und zog sie in die Höhe. »Wenn das Mädchen dabei ist, erst recht. Dem Mädchen werden wir zeigen, dass wir dich Gehorsam lehren können.«
Jaime bewegte den Kopf nicht. Der Tatich zog, bis das Haar samt den Wurzeln ausriss. Anavera schrie auf.
»Auf die Knie«, sagte Iacinto Camay. »Hier vor mir. Küss mir die Füße, Dzul.«
»Tu, was er sagt«, schrie Anavera. »Es ist doch gleich vorbei, tu um Gottes willen, was er dir sagt.«
»Ich kann nicht«, entgegnete Jaime.
Iacinto Camay ohrfeigte ihn. »Auf die Knie.«
Jaime stand still.
»Bringt ihn weg«, sagte Iacinto Camay. »Zum Mahagonibaum. Gebt ihm drei Dutzend für den Anfang, und sorgt dafür, dass er an jeden einzelnen bis an sein Lebensende denkt. Wenn ihr fertig seid, sehen wir weiter.«
Schreiend sprang Anavera dazu, wollte erst den Tatich von Jaime fortreißen und dann Jaime packen und nicht gehen lassen. Einer der Männer stieß sie zu Boden. Jaime brüllte vor Zorn und wollte ihr zu Hilfe springen, doch die Wächter schleiften ihn davon.
Iacinto Camay baute sich über ihr auf. »Du bleib hier«, sagte er.
»Nein«, schrie sie, weinte und umklammerte mit beiden Armen seine Beine und presste den Mund auf einen seiner Schuhe. »Bitte nicht. Ich tue alles, was Sie von mir wollen.«
»Komm doch zu dir«, sagte Iacinto Camay. »Weißt du, was dieser Kerl von deines- und meinesgleichen sagt? Dass wir mit dem Rücken besser hören als mit den Ohren. Ich habe einen Mann hier, der auf seinem Land zum Krüppel gepeitscht worden ist. Jetzt soll dieser Menschenschinder uns einmal zeigen, wie gut er selbst mit seinem Rücken hört.«
»Nein«, schrie Anavera weiter und konnte nicht aufhören, vielleicht auch, damit sie nichts als ihre eigenen Schreie hörte.
»Steh schon auf«, sagte Iacinto Camay und tätschelte ihr unbeholfen den Kopf. »Ich mag nicht, dass du dich erniedrigst. Kannst du mich nicht um etwas anderes bitten
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