Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Barbar, selbst einer mit Gouverneursschärpe, bekam schließlich nicht alle Tage die Tochter eines spanischstämmigen Adligen ins Bett.
Benito Alvarez aber sah aus, als würde er niemanden vermissen. Als wäre er so müde wie Jaime. Sie hatten beide einen Schlag einstecken müssen – der indianische Barbar, weil er seinen Bastardsohn nicht frei bekam, und Jaime, weil die Aufstockung der Polizeitruppen, für die er sich verwendet hatte, abgelehnt worden war. Dafür sei kein Geld da, hatte der Präsident mit verlogenem Bedauern erklärt. Geld hatte er stattdessen für Benito Alvarez’ Entwässerungsprojekt bewilligt, mit dem der seine Barbarensippen in den Slums vorm Ersaufen retten wollte. Vor dem Mittagessen hielt der Clown von einem Innenminister eine heuchlerische Rede, in der er dieses Projekt als Segen für die Hauptstadt und Don Porfirio als Retter der Menschheit pries.
Einzig José Limantour, der Finanzminister, wagte noch einmal, die Polizeitruppe ins Gespräch zu bringen. »In keiner Stadt der Welt geschehen so viele erbärmliche Verbrechen wie bei uns«, beklagte er sich. »Die Polizisten, die wir haben, werden dieser Plage nicht Herr.«
»Aber wir haben doch schon an jeder Straßenecke einen Mann sitzen!«, widersprach der Innenminister, und Jaime musste sich ein bitteres Lachen verbeißen. Die Männer, die an den Straßenecken hockten und bei Gefahr ihre roten Laternen schwenken sollten, um Kameraden zur Verstärkung herbeizurufen, trafen sich zum Kartenspielen oder schnarchten über ihren Pulque-Flaschen. Um ernsthaft für Ordnung in der Stadt zu sorgen, hätten sie die vierfache Anzahl und vor allem viel schärfere Leute gebraucht, wie sein Vater sie sich in Querétaro heranzüchtete.
»Wenn das genügen würde, wäre ja wohl dieser Geist des Pinsels längst gefasst worden«, konterte Limantour. »Und zudem würde es uns dann endlich gelingen, die Einwanderer aus Europa anzuwerben, die unser Volk dringend braucht, um das indianische Blut auszudünnen. Die Leute kommen her, um Geld zu machen, aber hier siedeln und Familien gründen wollen sie nicht, weil unsere Stadt im Ruf eines Verbrechernestes steht. Einzig Chinesen könnten wir haben, Chinesen in Scharen – aber was soll schon herauskommen, wenn man einen Opiumraucher mit einem Pulquesäufer oder einen Rattenfresser mit einem Bohnenfresser kreuzt?«
Gelächter brandete auf. Jaime sah zu Benito Alvarez, den die Worte wie Ohrfeigen treffen mussten, doch das Gesicht des Barbaren blieb unbewegt. Er sah aus, als schliefe er mit weit geöffneten Augen. Don Porfirios blutjunge Frau eröffnete das Büfett, nicht ohne den Hinweis, es befinde sich weder eine Ratte noch eine Bohne darauf, sondern ausschließlich Spezialitäten der französischen Küche. Das war Mexikos Feier der Unabhängigkeit! Das herausgeputzte Pack stürzte sich auf Schüsseln und Platten wie Schweine auf Tröge, und Jaime hatte den Hals gestrichen voll. Er ließ seinem Kutscher ausrichten, er solle vorfahren, und bat irgendeinen Nächststehenden, ihn zu entschuldigen. Als er sich vor dem Aufbruch noch einmal im Saal umsah, war auch Benito Alvarez verschwunden.
Um in sein Haus an der Alameda zu gelangen, musste er sich quer über den vor Menschen wabernden Platz kutschieren lassen, und dass das schiefgehen würde, hätte er sich denken sollen. Statt ihn schnellstens nach Hause zu bringen, war sein Kutscher gezwungen, in vollem Trab die Pferde zu zügeln, weil ein betrunkenes Dienstmädchen ihnen geradewegs vor den Wagen fiel. Einen Augenblick lang wünschte Jaime, der Mann hätte zu spät reagiert und die Hufe seiner Hispano-Araber hätten das dumme Ding zu Tode getrampelt. Zumindest hätte er sich dann nicht auf das dreckverklebte Pflaster hocken müssen und das verschüchterte Gesäusel sowie die Schmachtblicke der Gestürzten ertragen. Zu allem Unglück war sie offenbar neu in der Stadt und wusste nicht, wie sie nach Hause kommen sollte – obwohl sie gleich um die Ecke, in der Calle Tacuba, im Dienst war, vermutlich bei Jaimes unsäglichen Nachbarn, die Kreaturen aller Art einstellten.
»Ich gehe zu Fuß«, sagte er zu seinem Kutscher und überließ ihr den Wagen. Den enttäuschten Blick, den sie ihm nachwarf, konnte er förmlich im Nacken spüren. Zweifellos hatte sie sich mit Absicht seiner Kutsche in den Weg geworfen. Das Wappen seiner mütterlichen Familie war ja deutlich sichtbar in die Türen geprägt, und solche Dirnen schreckten häufig vor keinem Mittel
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