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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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an ihr Schultertuch. »Ist die rote nicht schöner?«, fragte Josefa, dann kam sie sich undankbar vor und schüttelte eilig den Kopf.
    Tomás lachte. »Ich bin Maler. Wenn es um Farben geht, darfst du mir vertrauen, und Blau ist wie für dich gemacht.«
    An einem Stand teilten sie sich eine Schale Sorbet aus Limonen, und an einem anderen ließ Tomás sich ein schlankes Glas mit einer bräunlichen Flüssigkeit füllen. Es war Mittag und ein Tag in praller Sonne, also führte er Josefa in den Schatten der Arkaden hinter der Kathedrale, wo die Schreiber auf ihren Schemeln für die wartende Kundschaft Verträge, Warenlisten und Liebesbriefe aufsetzten. In einer Nische sang eine ungeheuer dicke Sopranistin eine Arie voller Koloraturen.
    »Amüsierst du dich?«, fragte Tomás und gab ihr das Glas.
    »Und wie!«, rief Josefa und trank von der braunen Flüssigkeit, die klebrig wie Honig war und nach Vanille schmeckte.
    »Parfümierter Brandy«, erklärte Tomás. »Nicht salonfähig, aber Mädchen schmeckt er angeblich.«
    Etwas Stärkeres als Wein hatte Josefa nie getrunken. Sie fand es himmlisch und wollte mehr davon.
    »Es ist heiß, und du hast nichts Vernünftiges gegessen«, warnte Tomás. »Er steigt dir zu Kopf.«
    »Das ist ja das Beste daran!«, rief Josefa.
    »Womit du nicht unrecht hast«, gab er zu und ging, um ihr noch ein Glas zu holen. Als er wiederkam, ahmte er die Verrenkungen nach, die die dicke Sängerin mit ihren Kiefern vollführte. Josefa trank Brandy und hätte sich vor Lachen ausschütten wollen.
    »Ist das Leben hier immer so schön?«, fragte sie und bemerkte, dass ihre Zunge ihr ungewohnt schwer im Mund lag.
    »Schön?«, fragte Tomás zurück, und in seinen grauen Augen tanzten silbrige Sprenkel. »Ich mag es auch, ohne Zweifel – es ist so schreiend bunt, so brutal und aufdringlich, dass ich mich ihm als Maler nicht entziehen kann. Schön aber ist es mir immer auf El Manzanal vorgekommen. Es kennt kein Maß hier, keine Harmonie. Verstehst du, was ich meine?«
    Josefa nickte, aber sie fand, sie habe für ihr Leben genug Maß und Harmonie gehabt. »Das hier ist echt«, sagte sie. »Es verfliegt nicht, wenn man danach greift. O Tomás, kannst du der beste Freund der Welt sein und mir noch ein Glas von diesem Vanillehonig holen? Mir wird davon so leicht im Kopf und so schwer im Mund, und alles schwankt hin und her wie auf einer Kinderschaukel.«
    »Bist du dir sicher? Ich weiß nicht, ob meine Braut es mir dankt, wenn ich ihre einzige Schwester mit Brandy vergifte.«
    »Deine Braut ist weit weg«, verwies ihn Josefa. Der letzte Mensch, an den sie jetzt denken wollte, war Anavera. Die dicke Sopranistin hatte angefangen einen Musette-Walzer zu singen, und wie von selbst wiegte Josefa sich im Takt. »Komm schon, Tomás. Ich verspreche, ich behalte es für mich.«
    Er lachte auf. »Ich nehme dich beim Wort – ich habe nämlich Angst, dein Vater häutet mich bei lebendigem Leibe, wenn er davon Wind bekommt.« Damit verschwand er in der Menge, und Josefa, die im Takt des Walzers schwankte, sah ihm nach. Er ist so nett, dachte Josefa. Er hat diese fröhliche Art von Martina, die ansteckt, und obendrein hat er sich zu einem bildhübschen Burschen ausgewachsen. Anavera hat Glück. So wie sie immer Glück hat.
    Auf den einen Walzer folgte ein zweiter und dann eine Habanera, die so langsam war, als würde sie sich lasziv in der Sonne wälzen. Ein junger Mann, ein leicht ramponierter Weißer mit einer Nelke im Knopfloch, raunte Josefa zu, sie sei das reizendste Mädchen auf der ganzen Plaza und ob er ihr wohl im Café Santa Cruz einen Kaffee mit Zimtsahne kredenzen dürfe. Er rauchte eine Zigarette wie ein Kaffeepflücker und blies den Rauch Josefa ins Gesicht.
    Zuerst gefiel es Josefa nicht übel, von einem Fremden auf der Straße Komplimente zu bekommen. Sie sagte höflich nein, sie warte auf ihren Verwandten, doch als er nicht lockerließ, sondern sich näher an sie heranschob, bemerkte sie, dass sie seinen Geruch nicht mochte, nicht nur den Zigarettenrauch, sondern auch die Mischung aus süßlichem Parfum und saurem Schweiß. Seine Haut war unrein, die Pusteln vom dünnen Bärtchen kaum verdeckt. »Ich bitte Sie, mich allein zu lassen«, sagte sie, doch er drängte sich nur noch näher, als hätte er nichts verstanden. Als er den Arm um sie legte, schrie sie erschrocken auf, aber kein Mensch achtete auf sie. Die dicke Sängerin und der Akkordeonist, der sie begleitet hatte, beendeten ihr Spiel und

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