Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
nirgendwo den Mund auf, für deine Familie so wenig wie für mich.« Verletzt fuhr Acalan herum, aber Elena behielt recht, er bekam den Mund nicht auf. Jäh riss sie Anavera den Stich aus der Hand und hielt ihn ihm vors Gesicht. »Hier, schau dir das an, so gehen andere mit diesem Sanchez Torrija um – sie machen eine Witzfigur aus ihm!« Dass auf dem Bild nicht der Kommandant, sondern sein Sohn verspottet wurde, behielt sie für sich. »Du aber zitterst vor ihm wie ein Kind vor dem Erdenmonster, das aus einer Spalte stößt und dich verschlingt.«
Acalan, dem die Hand tatsächlich zitterte, griff nach dem Stich und starrte ihn an. »Das ist kein Witz«, stotterte er. »Der da bringt das Böse und den Tod, und es ist so, wie Ollin gesagt hat. Entweder wir machen ein Ende mit ihm, oder er macht ein Ende mit uns.«
Mit einem Schaudern nahm Anavera den Stich wieder an sich. Ganz unrecht konnte sie Acalan nicht geben. Der Totenschädel auf dem Bild reizte tatsächlich nicht zum Lachen. Der Blick des Skeletts mit dem Truthahnschnabel strahlte etwas durch und durch Böses und Bedrohliches aus. »Jetzt komm wieder zu dir«, sagte Elena, ging zu ihrem Liebsten und zog ihn in die Arme. »Es ist nur ein Bild, hörst du? Und zur Not wird meine Tante auch mit dem Erdenmonster fertig, das hat sie schließlich auf Anaveras Verlobung bewiesen. Geh und tu, was dein Vater dir gesagt hat. Ich muss nach Abelinda sehen, aber wenn es dunkel wird, warte ich auf dich beim Süßhülsenbaum.« Sie küsste ihn, schob ihn sanft aus der Tür und ging mit Anavera in die andere Richtung.
Das einzig Gute an diesem wirren, traurigen Abend schien, dass Abelinda sich besser fühlte. Sie kehrte in ihr Zimmer zurück, um an Miguel zu schreiben, und hoffte danach schlafen zu können und von ihm zu träumen. Anavera ging hinauf zu den Kaffeebäumen, um den Pflückern ihren Lohn auszuzahlen, und schämte sich, weil die Leute samt ihrer unzähligen Kinder ihr so überschwenglich dankten. Dabei hatten sie für das bisschen Geld seit Sonnenaufgang in der Hitze geschuftet, während Anavera ihr langbeiniges, kaffeeschwarzes Pferd Aztatl genossen und in den Tag geträumt hatte.
Anavera war noch auf, als die Mutter kurz vor Mitternacht nach Hause kam. Sie war niedergeschlagen und wollte erst nicht reden.
»Ich mag mit alledem nicht auch noch dich belasten«, sagte sie. »Es ist etwas, das wir Erwachsenen lösen müssen, nicht es euch aufbürden.«
»Ich glaube, ich werde jetzt besser auch erwachsen«, sagte Anavera. »Ich bin zwanzig, Tomás will, dass wir im Frühling heiraten, und ich würde gern eines Tages so für die Leute von El Manzanal und seiner Umgebung sorgen, wie ihr es tut. Mit Vicente und Enrique und wer immer von den anderen hierbleibt. Ich möchte gern mehr sein als die nette Anavera, die wie ein Mann ein Hengstfohlen zureiten und ziemlich gut beim Coquian schummeln kann – so wie du auch mehr bist.«
Die Mutter lachte. »Ich bin vor allem müde. Und was die Hengstfohlen angeht, macht dir niemand etwas vor. Die Männer überlassen doch längst die harten Brocken dir und teilen die sanften unter sich auf. Aber recht hast du trotzdem.«
»Es war schlimm, nicht wahr?«
»Ja«, sagte die Mutter, »es war schlimm. Coatl kann das Land nicht kaufen, weil es bereits verkauft ist. Der ganze Gürtel hinter El Manzanal. All die Bauern, die von jeher als unsere Nachbarn dort leben, müssen fort. Ich habe angeboten, dass wir die Felder selbst kaufen, dass wir sie weit über Wert bezahlen und ausschließlich Kaffee und Exportgetreide pflanzen lassen, aber der neue Besitzer besteht darauf, sie zu behalten. Er hat uns die Lizenz der Regierung präsentiert wie eine Kriegserklärung.«
»Wer? Der neue Besitzer? War er denn auf der Kommandantur?«
»Der neue Besitzer ist Comandante Sanchez Torrija«, sagte die Mutter und ließ sich ins Polster des Sessels fallen. »Nun weißt du, auf wen wir uns als Nachbarn zu freuen haben. Sag, könntest du ein Engel sein, Anavera, und mir vom Tisch einen kleinen Mezcal holen? Er braucht auch nicht ganz so klein zu sein. Ich weiß, ich trinke neuerdings zu viel, aber dein Vater fehlt mir. So stolz ich darauf bin, dass du deinen Mann stehen willst, und sosehr ich das auch wollte – heute Abend wünsche ich mir einfach, Benito wäre hier, würde mich in die Arme nehmen und mir sagen, ich soll mir keine Sorgen machen, weil er das alles schon wieder in Ordnung bringt.«
Anavera ging zu dem Beistelltisch, den
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