Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Carmens Mann geschnitzt hatte, und schenkte Mezcal in ein Glas. Als sie es ihrer Mutter reichte, trafen sich ihre Augen, und Anavera begriff, dass sie nicht nur als Mutter und Kind hier saßen, sondern zum ersten Mal als zwei Frauen, die von der Liebe wussten.
Die Mutter lächelte schief. »Und dann wünsche ich mir noch, er würde mir sagen, dass ich keine müde, alte Frau bin, sondern noch immer sein schönstes Geheimnis, für das er auf nackten Sohlen durch Mexiko laufen würde, um vor mir auf die Knie zu fallen und seinen Kopf in meinen Schoß zu legen.« Sie lachte. »Du findest mich furchtbar albern, nicht wahr?«
»Nein«, erwiderte Anavera. Sie fand die Mutter schön.
»Das war so wundervoll mit deinem Vater. Immer. Dass er solche Dinge zu mir sagen konnte und dass wir dann beide lachen mussten, weil wir uns so albern fanden. Und trotzdem war es uns ernst.«
»Sprich nicht, als wäre es vorbei«, sagte Anavera und setzte sich zu ihr auf die Sessellehne. »Wenn erst Miguel frei ist, kommt der Vater wieder und sagt solche Dinge zu dir, weil sie alle wahr sind. Weißt du, dass ich keine zwei Menschen kenne, die sich so sehr lieben wie ihr? Und weißt du, wie glücklich ich bin, dass ich aus dieser Liebe entstanden bin?« Sie hatte nie darüber nachgedacht. Aber es war so, wie sie es gesagt hatte.
Ihre Mutter stellte das Glas mit dem Mezcal weg und zog sie in die Arme. Ein paar Augenblicke lang hielten sie einander so fest, wie sie konnten. »Danke«, flüsterte die Mutter an ihrem Ohr. »Weißt du, wie glücklich ich war, als ich deinem Vater sagen konnte, dass du in mir wächst?«
Sie drückten sich noch fester. Das Drücken half gegen das Schweigen, das entstand, weil sie beide dasselbe dachten und nicht aussprechen durften: Bei Josefa war es anders gewesen. Weit weg von solchem Glück.
Die Mutter fasste sich und küsste Anaveras Augen. »Zwanzig Jahre habe ich dich schon, und noch immer denke ich, es kann doch nicht sein, dass es diese unglaublichen Augen von meinem Benito noch einmal gibt.« Sie griff nach dem Glas und hielt es Anavera hin. »Willst du den mit mir teilen, damit deine alte Mutter sich nicht haltlos betrinkt?«
Anavera nickte ihr zu und trank von dem scharfen, bitteren Getränk.
»Danke, dass du mich heute Nacht ausgehalten hast«, sagte die Mutter. »Mich und meine Sentimentalität. Mir tut Coatl so furchtbar leid. Als er begriff, dass er seine Familie nicht schützen und seine Würde nicht bewahren kann, sah er aus, als verlöre er all seine Größe, wie eine Agave, die nach der Blüte einfach zusammensinkt und stirbt. Felipe Sanchez Torrija zerstört ihm aus einer Laune heraus, wofür er gelebt hat – und auf einmal habe ich mich geschämt, weil es uns so gutgeht und wir unter diesem Dach so geborgen sind.«
»Ich auch«, gestand Anavera. »Wo ist Coatls Familie jetzt?«
»Bei seinem Bruder. Sie bleiben dort über Nacht. Wohin sie morgen gehen, weiß kein Mensch.« Noch einmal zog die Mutter sie an sich. »Ich bin so stolz auf dich wie Coatl auf seine Söhne. Und ich bin glücklich, dass es jetzt noch ein Paar gibt, das sich liebt wie dein Vater und ich – dich und deinen Tomás. Warum schreibst du ihm nicht, er soll zum Kaffeepflückerfest herkommen? Wenigstens auf drei Tage, mit der Eisenbahn ist er doch in Windeseile wieder zurück.«
»Das mache ich!«, rief Anavera geradezu erleichtert. »Und ich schreibe ihm, er soll den Vater mitbringen. Für drei Tage wird der Präsident ihn ja wohl entbehren können.«
»Ich fürchte nicht«, erwiderte die Mutter traurig. »Im Augenblick lässt er ihm nicht einmal Zeit, mir zu schreiben.«
»Dann schreibe ich ihm, dass du ihn brauchst«, sagte Anavera. »Dass wir alle ihn brauchen und dass Querétaro ihn braucht.«
Die Mutter trank den letzten Rest Mezcal und stemmte sich aus dem Sessel. »Du bist ein Segen, mein Fohlen. Was ist, versuchen wir zwei Nachtfalter ein bisschen zu schlafen? Wenn morgen früh über diesem Tal die Sonne aufgeht, hat die Welt ihr Leuchten wieder und uns fällt ein, wie wir Coatl helfen können.«
Aber am nächsten Tag hatte die Welt ihr Leuchten nicht wieder, und Coatl konnte niemand mehr helfen. In aller Frühe klopfte es an der Tür zum Seitenflügel, und auf der Schwelle stand seine älteste Tochter. Ihre beiden Brüder seien fort, sie seien auf den Weg in die Kommandantur, und wenn niemand sie aufhielte, würden sie Felipe Sanchez Torrija töten. Ihr Vater hatte sich in der Nacht im Stall bei
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