Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
aber seine herrliche Stimme klang nicht mehr so kalt. »Ich sage meinem Kutscher, er soll Sie nach Hause bringen.«
Vor der Tür des Restaurants, unter dem glasklaren Himmel, blieb er jedoch noch eine kleine Weile mit ihr stehen. Die Nächte hier waren kühler als in Querétaro, und als er sah, dass sie zitterte, zog er ihr die Mantilla zurecht und schloss ihr die Kordel am Hals.
»Wollen Sie mich wiedersehen, Señorita Alvarez?«, fragte er. In seinen Augen glitzerte alles Licht der belebten Straße. Ein junges Mädchen mit dem Familiennamen anzusprechen war nicht üblich. Josefa kam sich mit dem Namen fremd und erwachsen vor.
»Ja, das will ich!«, rief sie, und ehe sie nachdenken konnte, lagen ihre Hände auf seinen Schultern. Sie hätte ihm so viel sagen wollen, sich bei ihm bedanken, ihn wissen lassen, dass dies die schönste Nacht ihres Lebens war. Vor Angst, überzusprudeln, presste sie die Lippen fest aufeinander, doch ihre Hände entzogen sich ihrer Kontrolle. Sie fuhren seine schönen, geraden Schultern entlang, über den Kragen und bis hinauf auf den Streifen Haut am Hals. Dann erschrak sie und zog die Hände zurück. Was fiel ihr ein, einen fremden Mann zu berühren? Und berühren war keineswegs das richtige Wort. Sie hatte den fremden Mann, der vor ihr stand, liebkost.
Er nahm ihre Hände, die sie vor der Brust verschränkt hielt, zog sie behutsam auseinander und betrachtete die Handflächen. »Ist das das Barbarenblut?«, fragte er. »Dieser Mangel an Beherrschung – entspringt der dem Erbe eines Volkes ohne Zivilisation, von dem man Ihnen äußerlich nichts ansieht?«
War er ihr böse? Bereute er, mit ihr ausgegangen zu sein? Er hob ihre Handflächen ans Gesicht und küsste sie. Nicht so, wie Herren einer Dame, ohne sie wirklich zu berühren, einen Handkuss gaben, sondern so, dass sie seine festen, trockenen Lippen auf der Haut spürte. Ein Kribbeln jagte ihr hinauf bis in die Schultern. »Sie sollten, wenn Sie ausgehen, Handschuhe tragen«, sagte er. »Hier gibt es ja kein Amarantfeld, das Sie umgraben müssen.« Von neuem beschämt, wusste sie keine Erwiderung. Er aber fuhr mit der Fingerspitze die Gravur auf ihrem Armreif entlang. »Das hier hingegen zeugt von Geschmack. Hat es Ihnen ein Verehrer geschenkt?«
Hastig schüttelte sie den Kopf. »Mein Vater. Zu meiner Taufe.«
Rauh lachte er auf. »Das hätte ich mir denken sollen. Aber für Indio-Kunst ist es wirklich vortreffliche Arbeit. Gute Nacht, Doña Josefa Alvarez. Falls Sie der grünen Stunde morgen die Ehre erweisen wollen, verlaufen Sie sich nicht, mein Haus liegt gleich neben dem Ihrer Gastgeber.«
»Ich werde kommen!«, rief sie ihm noch aus dem Fenster der Kutsche zu, und erst, als sie ihn nicht mehr sehen konnte, fiel ihr ein, dass auch das vermutlich ein Verbrechen gegen den Stil war, das ihm im Innersten weh tat.
Sie kam am nächsten Tag nicht. Sie kam überhaupt nicht mehr, und das Kleid, das er ihr schickte, ließ Tomás an der Tür zurücksenden. Noch in der Nacht fielen sie alle über sie her – Martina, Felix, Tomás und der Haufen von Freunden, der ständig bei ihnen herumhing. »Ist das dein Ernst, dass du mit diesem Menschen ausgegangen bist und es morgen noch einmal tun willst?«, schrie Tomás auf sie ein. »Weißt du überhaupt, wer der verdammte Kerl ist?«
»Jaime Sanchez Torrija«, erwiderte Josefa. Gegen den Klang seines Namens verblasste alles, auch dass der liebenswürdige Tomás mit ihr sprach, als hätte er Lust, sie zu schlagen.
»Und was dessen Vater in Querétaro macht, hast du ja wohl miterlebt«, schrie Tomás weiter.
Josefa sprang auf. »Ist jemand schuld daran, wen er zum Vater hat?«, entfuhr es ihr.
Kurz war alles still. Betretene Blicke glitten langsam zu Boden. Was sie alle dachten, wusste Josefa. Als Tomás die Sprache wiederfand, hatte er aufgehört zu schreien, aber sein Ton war noch immer schneidend. »Der Sohn ist nicht besser als der Vater«, sagte er. »Er ist schlimmer. Der Vater ist ein brutaler Machtmensch, der jedoch weder raffiniert vorgeht noch sonderlich intelligent ist. Der Sohn hingegen ist hinterhältig wie eine Grubenotter und ebenso wenig zu fassen. Er ist es, der im Geheimen, wie ein Reptil in seiner Spalte, unsere Zeitungen zensiert – zuvorderst die großartige Zeitung, für die du angeblich schreiben willst! Damit hat er Miguel ins Gefängnis gebracht, ist dir das nicht klar? Miguel sitzt eingepfercht in einer schimmligen Zelle, wird geschlagen, getreten und kann
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