Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
dass ich nicht kommen kann?«
»Natürlich.«
Abelinda stöhnte. »Jetzt mache ich sogar dir und Acalan noch Probleme, dabei habt ihr auch ohne mich genug.«
»Ach, bei uns ist ohnehin alles für die Katz«, entgegnete Elena missmutig. »Ich liebe diesen dummen Kerl so sehr, dass ich zur Not mit ihm durchbrennen würde, aber er bringt ja den Mumm nicht auf, bei meinem Vater auch nur den Versuch zu wagen. Was soll es also noch, dass wir uns quälen?«
Anavera drückte sie kurz an sich. »Ich sage Acalan Bescheid. Und bestimmt findet sich ein Weg. Vielleicht ergibt sich ja etwas am Dia de los Muertos oder auf dem Kaffeepflückerfest.«
»Was hast du denn da?« Neugierig zupfte Elena ihr den kleinen Stich aus der Hand.
»Eine Karikatur von Sanchez Torrija«, antwortete Anavera. »Tomás hat sie mir aus der Hauptstadt geschickt.«
»Ha, der Bursche ist ein Künstler!«, rief Elena. »Getroffen wie die Faust aufs Auge. An diesem Abend, an dem ihr euch verlobt habt, habe ich ernsthaft geglaubt, dein Tomás stürmt los und dreht dem Widerling den Hals um.«
»Das hier ist der Sohn«, erklärte Anavera. »Und die Zeichnung stammt nicht von Tomás, sondern von einem Bekannten. Aber offenbar sind alle Mitglieder dieser Familie lebende Totenschädel, die nur herumlaufen, um anderen das Leben zu vergällen.« Dann wünschte sie den beiden Glück und lief hinüber zum Seitenflügel. Sie wollte der Mutter von Josefa erzählen, ehe sie sich um Acalan kümmern würde.
Um Acalan allerdings war kein Kümmern mehr nötig, denn der stand bereits im Büro ihrer Mutter, als Anavera dort eintraf. Erregte Stimmen schlugen ihr entgegen, und in dem engen Raum waren neben der Mutter und Acalan noch dessen Vater, sein Onkel und seine beiden Vettern versammelt. Der ältere, Teiuc, mit dem sie und Tomás als Kinder Staudämme in den Bach gebaut hatten, blutete aus einer Wunde auf der Stirn. Vermutlich war die Familie des Onkels in Streit mit Nachbarn geraten. War der Vater zu Hause, so bestürmten die Bauern ihn mit ihren Sorgen, weil er ihr Gouverneur und dabei ihresgleichen war. Jetzt hätten sie ihre Anliegen in der Stadt, im Gouverneurspalast, vortragen können, aber die Stadt lag zwei Stunden weit weg und war eine fremde Welt. Sie kamen lieber zur Mutter. Sie war die Frau ihres Gouverneurs, sie unterrichtete ihre Kinder, und ihr vertrauten sie.
»Sie haben meinen Bruder aus seinem Haus getrieben«, rief Acalans Vater atemlos. »So wie damals uns! Die Rurales haben die Möbel zur Tür hinausgeworfen und alles zertrampelt, sie haben Teiuc geschlagen und mit dem Gewehr bedroht, weil er sich ihnen in den Weg gestellt hat. Einer aus der Stadt wird das Land aufkaufen, haben sie gesagt, es ist Gemeindeland, und das darf es nach den neuen Gesetzen nicht mehr geben. Aber es ist kein Gemeindeland. Es ist meines Bruders Milpa, die er sein Leben lang bestellt hat. So, wie es bei mir war. Es ist unser Land!«
Acalans Vater hatte wie sein Bruder auf seiner Milpa, einem Stück Land, das er nach Gewohnheitsrecht als sein Eigentum betrachtete, Bohnen, Mais und Amarant angebaut. Nach der Bodenreform des Präsidenten durfte es Landwirtschaft wie die seine nicht mehr geben. Großgrundbesitzer kauften den Gemeinden das Land ab und pflanzten statt Bohnen, Mais und Amarant Getreide, das sich für den Export eignete. Als die Milpa von Acalans Eltern verkauft worden war, hatte Anaveras Vater vorab Nachricht erhalten und war so in der Lage gewesen, der Familie ein Stück Land auf dem Rancho zur Pacht anzubieten.
Der Onkel hingegen war nicht einmal gewarnt worden. Rurales hatten den nichtsahnenden Mann bei der Arbeit überfallen und seine Familie aus ihrem Zuhause gejagt. Jetzt sah Anavera, dass zusammengedrängt in einer Zimmerecke auch seine Frau und seine beiden Töchter kauerten. Der Gedanke an das, was diesen Menschen angetan wurde, trieb ihr Tränen der Wut in die Augen. »Sie bleiben bei uns«, rief sie spontan. »Wir verpachten Ihnen Land, das besser ist als das, was Sie verloren haben, und wir helfen Ihnen auch, ein neues Haus zu bauen.«
Sie wollte zu den Frauen laufen, verspürte den Wunsch, sie in die Arme zu nehmen, doch ihre Mutter stand auf und hielt sie zurück. Im selben Moment vertrat Teiuc ihr den Weg. »Das ist großzügig von Ihnen, Señorita«, sagte er in seinem schweren, gebrochenen Spanisch. »Aber wir wollen keine Almosen, schon gar nicht von Frauen. Wir wollen unser Recht. Das Land hat unsere Familie mit ihren eigenen Händen
Weitere Kostenlose Bücher