Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
entschärfte die Worte nicht. Zweifel wurden wach, die Josefa verstörten. Mit jäher Wucht wünschte sie sich, Jaime zu sehen und wieder sicher zu sein – und mit der Wucht kam ihr ein Gedanke. »Tahtli«, sagte sie, »kannst du mir noch mit etwas anderem helfen? Es ist sehr schön bei Martina, sie sind alle so nett zu mir, aber ich komme dort so schlecht zum Schreiben, es ist immer so laut.«
Er lachte. »Ja, Martina erträgt keine Stille um sich. Sie sagt, wenn keiner lärmt, kommt sie sich vor wie im Sarg.« Er machte eine Pause. »Du willst in deine Wohnung ziehen, nicht wahr?«
Josefa nickte. »Wäre das möglich? Ich hätte so gern mein eigenes Reich.« Wenn sie nicht länger bei Martina wohnte, würde sie Jaime sehen können, ohne die anderen zu verletzen, ja, ohne dass sie überhaupt etwas davon mitbekamen. »Und ich müsste auch etwas einkaufen«, fuhr sie fort. »Hier in der Stadt zieht man sich doch anders an als bei uns in der Einöde.«
Unvermittelt beugte er sich vor und strich ihr Haar aus dem Gesicht. »Ich finde, du ziehst dich schön an«, sagte er. »Aber ich bin ja nur dein alter Vater und somit keiner, dem in dieser Frage eine Stimme gebührt. Die Papiere für dein Konto habe ich dir mitgebracht, und morgen stellen wir dich dem Direktor der Bank vor, damit du frei über dein Geld verfügen kannst.« Er nahm einen Stoß Dokumente aus einer Mappe und schob sie ihr über den Tisch. »Über die Wohnung habe ich mit Onkel Stefan gesprochen. Weißt du, Martina hat, als sie jung war, allein in diesem Palais gelebt, und wir alle kamen dort zusammen – es war dasselbe Bienenhaus wie heute. Das wollte ich für dich, daran habe ich gedacht, als ich die Wohnung gekauft habe. Aber es geht nicht, Kolibri. Du bist mein kleiner Vogel aus meinen tiefen Wäldern, und ich kann dich nicht so leben lassen. Bitte versteh mich. Was man der Tochter eines Baron von Schweinitz durchgehen lässt, würde der Tochter eines indianischen Emporkömmlings den Ruf zerstören. Solche wie wir müssen auf der Hut sein. Die Regeln übertreten dürfen nur die, die sie gemacht haben.«
Josefa spürte nur die Wärme in seinen Worten, legte ihre Hand auf seine und nickte.
»Du brauchst jemanden, der dort mit dir wohnt«, sagte er. »Ich würde es gern selbst tun, aber dann hättest du es schlimmer als bei Martina. Ich komme irgendwann in der Nacht nach Hause und stehe vor Sonnenuntergang wieder auf, du könntest nicht schlafen und hättest niemanden zur Gesellschaft. Stefan hat mich auf eine bessere Idee gebracht. Wie wäre es, wenn Felice zu dir zöge?«
Felice war die Tochter ihrer Tante Josephine, die fast zwanzig Jahre älter als Josefa war und nie geheiratet hatte. Josefa fühlte sich beschämt. Während sie geglaubt hatte, ihr Vater kümmere sich nicht um sie, hatte er all ihre Probleme gelöst. Die Idee mit Felice war brillant. Die verschüchterte Jungfer würde gewiss nicht wagen, ihr über ihr Kommen und Gehen Vorschriften zu machen. »Ich würde dir gern einen Kuss geben«, sagte sie und strahlte ihn an, »aber all diese Gläser und Kerzen sind im Weg.«
Er stand auf, kam um den Tisch herum und küsste sie auf den Kopf. Josefa schlang ihm die Arme um den Hals. Ich werde dich mit Jaime zusammenbringen, beschloss sie. Ihr werdet euch verstehen, weil ihr die wundervollsten, kultiviertesten Männer seid, die ich kenne. Und weil tief in euch derselbe seltsame Schmerz ist, der sich manchmal in euren Augen zeigt. In dieser Nacht hatte Josefa himmlische Träume.
Bis hierher war alles glänzend verlaufen. Ihre Wohnung, in einer noblen, stillen Querstraße der Calle Tacuba, war ein Traum mit vier weiten Zimmern und zwei Balkonen, und Felice verhielt sich genau so, wie sie es erwartet hatte, zurückhaltend und darauf bedacht, Josefa nicht zu stören. Tomás, Martina und Felix verstanden, dass sie ihr eigener Herr sein wollte, und Onkel Stefans Bekannter, George Temperley, schickte ihr Berge von Material über die Entwässerung der Slums. Der Besuch in der Wohnung über der Casa Hartmann, in der Onkel Stefan mit seiner Base Josephine und der achtzigjährigen Großmutter Marthe lebte, war ihr leichter gefallen als befürchtet. Als Kind war sie nie gern dort gewesen, weil die engen, mit dunklen Möbeln vollgestellten Räume ihr im Vergleich zu ihrem Leben auf El Manzanal so bedrückend und düster vorgekommen waren.
Das war diesmal nicht anders. Ich dürfte niemals Jaime hierherbringen, dachte sie, sobald sie in dem kleinen
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