Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
darauf warten, dass er sich die Cholera zuzieht. Und du lässt dich von seinem Peiniger ins Elysian Tivoli führen und dir Trüffel und Champagner kredenzen.«
»Woher weißt du denn, dass Don Jaime etwas damit zu tun hat?«, fuhr Josefa auf und war wütend auf sich, weil ihr Tränen kamen. Zweifel hegte sie nicht: Was immer die anderen sagten, sie mussten sich irren. Jaime Sanchez Torrija konnte an Greueln wie Miguels Verhaftung keine Schuld tragen.
»Warum fragst du nicht deinen Vater, wenn du mir nicht glaubst?«, versetzte Tomás. »Den Mann, der Tag und Nacht darum kämpft, Miguel aus der Hölle zu befreien, in die dieser Teufel ihn gebracht hat?«
»Wie soll ich meinen Vater denn fragen, er hat für mich doch nie Zeit!«, platzte sie heraus und bereute es sofort. Der Vater hatte ihr aus dem Innenministerium eine Schreibmaschine geschickt. Er schrieb ihr täglich Billetts und entschuldigte sich, weil er die Zeit, die er sich für sie wünschte, nicht fand. Sie hatte ihm keinen Vorwurf machen wollen.
Ehe Tomás etwas sagen konnte, trat Martina zu ihr und legte den Arm um sie. »Es ist hart, nicht wahr? Jaime Sanchez Torrija ist ein Bild von einem Mann, und als ich in deinem Alter war, wäre mir bei seinem Anblick auch das Herz geschmolzen. Es ist kein Unrecht, sich in einen schönen Mann zu verlieben, Josefa, es ist das Natürlichste von der Welt, und wenn die Kerle glauben, uns wäre allein an ihren inneren Werten gelegen, dann sitzen sie einer bösen Täuschung auf. Aber der Mann, in den du dich verliebt hast, ist im Inneren hässlicher als eine Kanalratte. Und gefährlich obendrein. In seinen Augen sind einzig Menschen von europäischer Herkunft wertvoll, und unter denen auch nur die von adligem Blut. Alle anderen verachtet er. Seiner Ansicht nach kann Mexiko nur vorankommen, wenn es sich von verdrecktem Pack wie uns befreit.«
Josefa fuhr zusammen. Wie Martina, die Alleinerbin eines hanseatischen Barons, sich als verdrecktes Pack bezeichnete, klang geradezu grotesk. Sie täuschen sich alle, dachte sie. Sie verurteilen Jaime, weil er einen brutalen Schinder zum Vater hat. Aber sie haben nie in seine Augen gesehen, sie haben nicht das gespürt, was hinter seiner kalten Fassade steckt. Die Einsamkeit, die Sehnsucht und den Schmerz. Sie wunderte sich über sich selbst. Und erst dann wunderte sie sich über das, was Martina gesagt hatte: »Es ist kein Unrecht, sich in einen schönen Mann zu verlieben.«
Martina hatte recht, sie war verliebt. Und der Mann, den sie liebte, daran hegte sie nicht den geringsten Zweifel, war außen wie innen schöner als irgendein Mensch auf der Welt.
In den folgenden Tagen fühlte sie sich wie in der Mitte zerrissen. Wie konnte sie diese Menschen, ihre Freunde, die sie liebten und sich um sie sorgten, vor den Kopf stoßen, indem sie zu Jaime Sanchez Torrija ging? Wie aber konnte sie es nicht tun? Sie war vor Sehnsucht krank, glaubte Fieber zu haben und konnte weder essen noch schlafen. Dass Tomás und die anderen glaubten, sie verbünde sich mit ihrem Feind, wollte sie nicht, doch noch weniger wollte sie, dass Jaime glaubte, ihr habe der wundervolle Abend nichts bedeutet.
In ihrer Not kam ihr Hilfe. Eines Abends stand ihr Vater in Martinas Sala, rief leise ihren Namen und schloss sie in die Arme. »Ich bin unmöglich, Huitzilli, ich weiß. Verzeihst du mir trotzdem? Gehst du mit mir essen?«
So wie jetzt war es schon gewesen, als sie ein kleines Mädchen war – er lächelte sie an, und ihre Welt stand nicht länger kopf. Er fragte sie, wo sie hingehen wollte, und weil sie nichts anderes kannte, wählte sie das Concordia. Ins Elysian Tivoli mit ihrem Vater zu gehen wäre ihr wie Verrat vorgekommen. Er führte sie in das Restaurant mit den hohen Fenstern, und es war noch schöner als das erste Mal, weil sie allein waren, weil er für niemanden da war als für sie. Er fragte sie nach ihren Erlebnissen und sah sie, während sie erzählte, unentwegt an. Schon immer hatte er die Gabe besessen, zuzuhören und ihr das Gefühl zu geben, jedes ihrer Worte sei klug und sie der wichtigste Mensch auf der Welt.
»Alles in Ordnung, Huitzilli?«, fragte er sie, und auch das hatte er sie schon als Kind gefragt. Abend für Abend, ehe er ihr die Decke bis ans Kinn zog und sie zur guten Nacht küsste.
Sie nickte, wie sie es damals getan hatte, sooft es keinen Grund gab, ihm ihr Herz auszuschütten.
»Wie kommst du mit deiner Arbeit voran?«
Josefas Herz vollführte einen Sprung, weil er
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