Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Salon in einem Sessel saß. Es würde ihn quälen, wie verstaubt und geschmacklos hier alles zusammengewürfelt war. Aber die Freudentränen, die der Großmutter aus den wässrigen Augen liefen, und die greisenhafte Hand, die ihre Wange streichelte, berührten sie. Großmutter Ana, die Mutter ihres Vaters, hatte Anavera und Vicente, nicht Josefa liebkost.
»Du bist so hübsch«, murmelte Großmutter Marthe und befühlte eine Strähne von Josefas Haar. »Keins von den Kindern dieser Familie ist so hübsch wie du. Nur meine Schwester Vera, der bist du aus dem Gesicht geschnitten. Möge der Herrgott auf dich, mein Liebchen, besser achten als auf sie.«
»Du würdest der alten Dame eine unbeschreibliche Freude machen, wenn du sie wieder besuchen kämest«, sagte Stefan, als er Josefa nach Hause brachte, und sie versprach es. Es fiel ihr nicht leicht, nach all den Jahren Deutsch zu sprechen, und die Atmosphäre in der Wohnung war belastend, aber es war schön, einem Menschen so wichtig zu sein. Wichtiger als Anavera und Vicente, nach denen die Großmutter nicht einmal gefragt hatte.
In der Tat, bis hierher war alles glänzend verlaufen. Wie aber sollte es weitergehen? Sie saß in ihrer schönen Wohnung, sie hatte Geld von ihrem Konto abgehoben und mit Martina einen Tag über Schnitten, Stoffproben und Accessoires verbracht, aber die wichtigste Frage blieb ohne Antwort: Wie sollte sie Jaime Sanchez Torrija wissen lassen, dass sie ihn nicht freiwillig brüskiert und sein Geschenk zurückgewiesen hatte? Wie sollte sie ihm sagen, dass sie nichts sehnlicher wünschte, als ihn wiederzusehen? Wäre er einer der jungen Männer um El Manzanal gewesen, einer wie Elenas Acalan, hätte sie an seine Tür geklopft oder ihren Bruder mit einer Nachricht geschickt. Jaime Sanchez Torrija aber war alles, nur kein Bauernbursche aus El Manzanal.
Was durfte ein Mädchen, das seinem Anspruch genügte, sich erlauben? Die Tage wurden zur Qual. Die Nächte waren schlimmer. Auf einmal vermisste sie Anavera, das Zimmer unter dem Dach, das sie geteilt hatten, die geflüsterten Gespräche in den Nächten. Anavera hätte sie fragen können, was sie tun sollte, und auch wenn die Schwester keine Lösung gewusst hätte, zusammen hätten sie sich eine ersponnen. Felice taugte dazu nicht. Die trug ihr dünnes Haar in einem Knäuel am Hinterkopf und hatte vermutlich in ihrem Leben keine einzige Nacht lang von einem Mann geträumt.
Als sie es in der Wohnung nicht mehr aushielt, zog sie los und lief zum Zócalo. Was Jaime für die Regierung tat, wusste sie nicht, aber gewiss würde sie ihn im Nationalpalast finden. Sie konnte so tun, als wäre sie dort, um ihren Vater zu besuchen. Wie albern der Plan war, begriff sie, als sie den Zócalo wiedersah, den weiten Platz voller geschäftiger Passanten, und die Fassade des Prachtbaus, die riesenhaft vor ihr aufragte. Menschen schrumpften zu Ameisen. Einen einzelnen zu finden, nach dem man sich krank sehnte, war völlig undenkbar. Sie hätte sich auf das Pflaster setzen und vor Hoffnungslosigkeit weinen wollen. Bewaffnete Soldaten ließen sie nicht einmal in die Nähe des Eingangs. Darüber, dass sie erklärte, sie sei die Tochter von Gouverneur Alvarez, lachten sie.
»Und ich bin der Sohn von Papst Leo dem Dreizehnten. Meine Mutter ist die Jungfrau von Guadelupe!«
Er fand sie trotzdem. Irgendeine Himmelsmacht kam ihnen zu Hilfe, und wie aus dem Boden gezaubert stand er hinter ihr. »Was fällt euch ein? Habt ihr Tagediebe nichts Besseres zu tun, als einer Dame lästig zu fallen? Kommen Sie, Doña Josefa. Ich bringe Sie zu Ihrem Vater.«
»Ich will ja gar nicht zu meinem Vater«, brach es aus ihr heraus.
»Und wohin dann?« Er zog eine Braue in die klare Stirn.
»Zu Ihnen«, antwortete Josefa und senkte verlegen den Kopf.
»Na, kommen Sie schon«, sagte er und hob mit zwei Fingern ihr Kinn. »Und sagen Sie nur nicht, es täte Ihnen leid.« Er bot ihr seinen Arm und führte sie durch die Menschenmenge. Im Gehen musterte er sie. Sie trug ein seidenes Tageskleid in einem Bronzeton, das ein Vermögen gekostet hatte. »Ich bin Ihnen böse«, sagte er.
»O bitte seien Sie mir nicht böse«, rief sie. »Ich wollte ja zu Ihrer grünen Stunde kommen, aber …«
»Die grüne Stunde ist es nicht. Was habe ich Ihnen gesagt? Grüne Stunden sind Leichenbegängnisse, auf die Leute, die zu viel davon haben, ihre Zeit tragen. Ihr Kleid ist es. Sie hatten mir versprochen, Grün zu tragen. Hält man sich so in Querétaro
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