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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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turmhohes Gebilde auf Josefas Kopf, flocht Perlenschnüre ein und erging sich dabei in Begeisterung über ihr goldblondes Haar. Anschließend bearbeitete Martina ihr Gesicht mit Utensilien, die aus Felix’ Malkasten stammen mochten, und zu guter Letzt hielt sie ihr einen Spiegel vor. Josefa entfuhr ein Laut. Die Frau, die ihr entgegenblickte, war kein Mädchen vom Lande, sondern eine fremde, kühle Hauptstädterin, unnahbar und ein wenig verrucht. Sie sah aus wie eine Frau, die sich an Jaime Sanchez Torrijas Seite sehen lassen durfte.
    Erst an der Tür, als sie sich bei Martina bedankte, fiel Josefa die Stille im Haus wieder auf. »Ist etwas nicht in Ordnung? Ihr habt ja heute gar keinen Besuch.«
    Hastig winkte Martina ab. »Sicher ist es nur ein Sturm im Wasserglas. Lass dir davon jetzt nicht deinen Abend verderben, wer immer der Glückliche ist, der ihn mit dir verbringt. Die Polizei hat José Posada abgeholt. Sie verdächtigen ihn, der Geist des Pinsels zu sein.«
    José Posada war ein Gast von Felix, der sich mit Karikaturen auf dem Zócalo ein wenig Geld verdiente. »Aber diesen Geist des Pinsels gibt es doch gar nicht!«, rief Josefa.
    »Eben«, erwiderte Martina. »Deshalb müssen sie José ja auch wieder laufenlassen. Du geh und genieß deinen Abend. Als wir jung waren, tobte vor unseren Türen der Krieg, und wir haben dennoch Nächte durchtanzt wie auf brennenden Vulkanen.«

12
    F ranzi Perger hatte immer nur eins gewollt – weg.
    Weg aus dem engen Tal, in dem jeder jeden kannte und jeder wusste, dass die Pergerin, ihre Mutter, für ihr Kind keinen Vater hatte oder eher zu viele Väter, um einen einzelnen zu benennen. An den Türen etlicher Höfe, wo Franzi um Arbeit gebettelt hatte, hatten die Herrinnen sie abgewiesen: »Dass du schaffen kannst, glaub ich dir, Kindl. Aber die Tochter einer Hure hole ich mir nicht ins Haus, damit sie für den Meinigen die Haxen spreizt.«
    Nur allzu gern hätte Franzi diese selbsternannten Damen wissen lassen, wie übel ihr beim Anblick ihrer »Meinigen« wurde, aber wenn sie in ihrem traurigen Leben eins gelernt hatte, dann, den Mund zu halten. Sich ihr Teil zu denken und auf eine Zeit zu hoffen, in der ihr sämtliche hochnäsigen Weiber samt ihrer »Meinigen« gestohlen bleiben konnten.
    Die Therese Gruberin hatte sie schließlich trotzdem eingestellt. Weil sie die Hälfte von dem verlangte, was ein Mädchen von manierlicher Abkunft kostete, und weil die Gruberin keinen Meinigen hatte, sondern nur einen Schwager, und was der trieb, war ihr egal. Das Leben auf dem Tschiderer-Gut war besser als das in den Gassen von Brixen, denn sie hatte ein Dach über dem Kopf, trug saubere Schürzen, und kein Kerl langte sie an. Zum Ausgleich war die Arbeit hart, und das Haus stank nach Tod und Verwesung. Sooft der Gruberin die Last ihres Alltags über den Kopf wuchs, hielt sie sich schadlos, indem sie Franzi ohrfeigte. Franzi war Schläge gewohnt, aber die völlige Willkür ließ sie die Gruberin hassen. Mit jeder Ohrfeige wuchs der Hass und mit dem Hass der Wunsch, ihrem elenden Leben zu entkommen.
    Im Frühling segnete der siechkranke junge Baron das Zeitliche, und der nach Verwesung stinkende Haushalt löste sich auf. Die Gruberin musste feststellen, dass ihr adelsstolzes Gebaren auf tönernen Füßen stand und bei der Prüfung der Testamentslage zusammenfiel. Vom Erbe des kleinen Barons war kein Hosenknopf mehr übrig, ihr Schwager hatte alles verlumpt und verhurt. »Zum Monatsletzten musst du gehen«, sagte sie zu Franzi und ohrfeigte sie. »Jetzt, wo mein Neffe und meine Schwester nicht mehr sind, habe ich keine Verwendung mehr für dich.«
    In Franzis Ohr setzte ein schriller Ton ein, und in ihrem Hass hätte sie der Gruberin entgegenschleudern wollen: Kein Geld mehr hast du für mich, du Hexe. So wie jeder in diesem engen Tal weiß, dass meine Mutter eine Hure ist, so weiß jeder, dass dein verlumpter Schwager dich ruiniert hat und dass deine noble Familie ausgetilgt ist wie der Schnee vom vergangenen Jahr.
    Vielleicht hätte sie es getan. Was hatte sie schließlich noch zu verlieren? Dann aber fuhr die Gruberin fort: »Ich bleibe ohnehin nicht hier. Ich reise zu meinem Neffen nach Mexiko.«
    Du hast doch gar keinen Neffen, wollte Franzi höhnen, dein Neffe, das arme Skelett im Totenhemd, ist dort, wo er hingehört, fünf Fuß tief unter der Erde. Stattdessen hatte sie nur Ohren für das eine Wort: Mexiko. In Brixen, unter den Hungerleidern, wurde von der Neuen Welt geredet

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