Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Kopf nicht an seine Brust lehnen und ihm nicht sagen konnte, wie dankbar sie ihm war. Für ihr gemeinsames Leben. Für die Kinder. Für alles, was er für Josefa getan hatte. Vor allem aber wollte sie ihm sagen, dass ihr vor Sehnsucht nach ihm noch immer das Herz galoppierte wie vor vierzig Jahren. »Ich bete ihn auch an«, sagte sie leise.
»Ich seh’s«, bemerkte Martina trocken. »Und sobald diese Sache mit Miguel geklärt ist, bekommst du ihn ja wieder. Dann feiert ihr das Fest noch einmal nach, bis euch der Schweiß aus den Poren quillt. Ist euer Leben nicht im Grunde ein einziges Fest?« Sie drehte sich zur Seite, doch Katharina entging nicht, dass sie sich bekreuzigte. Sie nannte sich mit Vergnügen eine Heidin, aber sooft die todesmutige Martina es mit der Angst zu tun bekam, floh sie in den Schutz ihres katholischen Kinderglaubens.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte Katharina.
»Mir? Doch, natürlich«, erwiderte Martina in Gedanken versunken. »Mir geht es immer gut. Dazu bin ich auf der Welt.«
»Was liegt dir dann auf der Seele? Miguel?«
Martina gab keine Antwort.
»Ist es wirklich ein harmloser Irrtum?«, fragte Katharina weiter. »Oder hast du das vorhin nur gesagt, um Abelinda und Carmen nicht aufzuregen?«
»Sie regen sich ohnehin auf«, wich Martina ihr aus. »Und für die Kleine ist Aufregung Gift, das siehst du doch. Sie ist zu schwach für ein einziges Kind, aber ihr Leibesumfang sieht aus, als bekäme sie mindestens drei.«
»Wir sorgen uns alle um sie«, stimmte Katharina zu. »Aber jetzt kann sie uns ja nicht hören. Was ist mit Miguel, Martina? Weshalb ist er verhaftet worden?«
»Weil er trotz wiederholter Verwarnung einen zwölfspaltigen Artikel über die katastrophalen Zustände im Osten der Hauptstadt gedruckt hat«, sprudelte es aus Martina heraus. »Irgendeine ekelhafte Laus in einer geheimen Zensurbehörde hat ihn gemeldet. Der Junge weiß nicht, was Vorsicht bedeutet. Natürlich hat er völlig recht, es ist ein Unding, dass die Regierung mit wirtschaftlichem Wachstum prahlt, während die Bewohner der Slums in einem überfluteten Sumpf leben, wo ihnen ihre Kinder an verseuchtem Wasser krepieren. Aber indem er mit dem Kopf durch die Wand geht, hilft Miguel niemandem – Benito nicht, der wie ein Berglöwe um Verbesserungen kämpft, und sich selbst schon gar nicht.«
»Er hat nicht eure Erfahrung«, gab Katharina zu bedenken. Benito, Martina und Felix hatten während des zweiten Kaiserreichs für die Untergrundregierung gekämpft und dabei gelernt, im Verborgenen zu agieren. »Vergiss nicht, er ist mit der freien Presse aufgewachsen, unter Journalisten, die unverblümt ihre Meinung äußern. Dass Präsident Diaz dem wirklich ein Ende setzen will, kann er vermutlich nicht glauben. Um ehrlich zu sein, ich kann es auch nicht.«
Martinas Lächeln wurde böse. »Porfirio Diaz ist ein Diktator, mein Herzchen. Er mag ein behutsam agierender Diktator mit einer glorreichen Vergangenheit als Befreiungskämpfer sein, aber das macht ihn nicht zu einem Demokraten. Zu alledem hat er Menschen mit zwei indianischen Eltern ungefähr so lieb wie Typhus und Cholera in einem. Das gilt für die kleinen Fische wie Miguel, doch für die großen, die sich mit Hirnschmalz und Charisma als Gouverneure halten, gilt es umso mehr.«
Katharina zuckte zusammen. »Benito ist sein Kriegskamerad!«
»Na und? Wann hätte das je einen Diktator gehindert, einen Mann zu hassen? Und welcher Diktator hätte sich je von Verbrüderung über der Feldlatrine abhalten lassen, einen verhassten Gegner einen Kopf kürzer zu machen?«
Katharina sprang auf. Ich halte das nicht aus, wollte sie rufen. Nicht noch einmal. Ich hatte ein Leben, das wild und bewegt war, voller Farbe, doch vor allem voller Verstörung, Einsamkeit und Furcht. In den zwanzig Jahren, die ich in Frieden hier lebe, habe ich mich davon kaum erholt. Ich kann nicht noch einmal Angst haben, meinen Mann zu verlieren, weil wir in einem Land geboren sind, das nicht zur Ruhe kommt.
Ohne dass sie es bemerkt hatte, war Martina aufgestanden. »He, he«, sagte sie und klopfte ihr den Arm. »Du kennst mich doch. Ich drücke mich immer drastischer aus, als für das Wohl meiner Zuhörer gut ist. Mach dir keine Sorgen, hörst du? Benito ist viel zu beliebt, als dass Diaz es wagen würde, ihm ein Haar zu krümmen, andernfalls hätte er ihn als Gouverneur längst abgesägt.«
»Er stellt ihm einen Militärkommandanten zur Seite«, hielt Katharina dagegen. »Einen
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