Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
hatte Martina ihr geraten. »Zur Not kann ich ihr etwas zur Beruhigung geben.«
Martina war Ärztin, und Abelinda war im sechsten Monat schwanger. Sie war ein zart gebautes Mädchen und kam vor Angst um ihren Mann fast um. Katharinas Gedanken flogen zurück zu ihrer Schwangerschaft mit Josefa. Jener Sommer war so heiß gewesen wie dieser, aber damals hatte die Regenzeit verlässlich die Felder bewässert, während in diesem Jahr drückende Trockenheit herrschte, die die Bauern um ihre Ernte fürchten ließ. Ihr Blick wanderte den Hang hinauf, an dem in langen Reihen sorgsam gestutzte Kaffeebäume standen und ihre Zweige voll blutroter Kirschen in den Himmel reckten. Zur Linken erstreckten sich endlose Koppeln, auf denen Pferde und rotgelockte Rinder grasten, und zur Rechten prangten die Apfelbäume, die ihr Vater ihnen zur Hochzeit geschenkt hatte, in voller Frucht.
Eine Woge von Dankbarkeit erfüllte Katharina. Mit seinem hochmodernen Bewässerungssystem konnte El Manzanal einen trockenen Sommer unbeschadet überstehen. Ohnehin war die Familie auf die Erträge des Ranchos kaum angewiesen, denn das, was ihr Mann als Gouverneur von Querétaro einnahm, war mehr als genug für sie alle. Ihre Kinder waren in sorglosem Wohlstand aufgewachsen und kannten weder Hunger noch Krieg.
Damals hatte es anders ausgesehen, und die rasende Furcht, die die junge Abelinda quälte, war Katharina nur allzu vertraut. Als sie in jenen Tagen begriffen hatte, dass sich in ihrem Leib neues Leben regte, hatte sie einsam und ohne einen Peso in einer belagerten Stadt gesessen, während der Vater ihres Kindes in einem sinnlosen Krieg sein Leben aufs Spiel setzte. Unwillkürlich fuhren ihre Hände auf ihren Leib so wie damals, vor einundzwanzig Jahren. Mit Josefa hatte sie es nie leicht gehabt wie mit ihren jüngeren Kindern. Während sie Anavera und Vicente einfach lieben und genießen konnte, war ihre Beziehung zu ihrer Ältesten von Anfang an kompliziert gewesen. In diesem Augenblick aber verspürte sie nichts als den Wunsch, Josefa zu beschützen, genau wie in jenem Hotelzimmer in Santiago de Querétaro in den letzten Wochen des Krieges.
Ich liebe dich, mein Kleines, sagte sie stumm und feierlich vor sich hin. Ich war dir nicht immer die Mutter, die ich hätte sein wollen, aber ich wünsche dir ein wundervolles Leben als Frau. Dann musste sie lachen, obwohl die gestrige Hiobsbotschaft wenig Anlass dazu bot.
Martina hörte auf die Pfefferkörner zu zertrümmern und sah zu ihr hinüber. »Lass mich mitlachen, Süße.«
Ihre Blicke trafen sich. »Es ist eher peinlich als komisch«, sagte Katharina. »Ich habe nur bemerkt, dass ich schon jetzt vor Rührung blind wie ein Höhlenfisch bin. Wie soll das dann erst heute Abend werden?«
Martina grinste breit wie ein Mann. »Vermutlich vergießt du einen Sturzbach, der die Bewässerungsprobleme des Landes löst. Aber tröste dich, ich habe bei Tomás auch eine Überschwemmung verursacht, und Felix war kein bisschen besser.«
Katharina seufzte. »Wenigstens hattest du Felix bei dir.« Gleich darauf biss sie sich auf die Lippe. Sie hatte sich nicht beklagen wollen – gab es nicht andere, die weit mehr Grund dazu hatten? Sie lebte in ihrem Apfelgarten, in ihrem weißen Haus im Schatten des Brotfruchtbaums, ohne Sorgen und umgeben von den Menschen, die sie liebte. Sie hatte drei prachtvolle Kinder und einen Mann, um den sie auch heute noch Scharen von Frauen glühend beneideten. »Es tut mir leid«, murmelte sie. »Ich muss dir vorkommen wie die sprichwörtliche nörgelnde Ehefrau, die ihr bei all den Problemen in der Hauptstadt ganz gewiss nicht brauchen könnt.«
Ohne zu zögern, stellte Martina den Mörser beiseite, rückte mit dem Stuhl zu ihr und legte den Arm um sie. »Nein, so kommst du mir nicht vor. Ich würde verrückt werden, wenn Felix ständig derart lange von mir getrennt wäre. Außerdem würde ich ihm die Hölle heißmachen, weil ich mir lebhaft vorstellen kann, wie er sich einsame Abende mit einem possierlichen Aktmodell vertreibt.«
Katharina lächelte schwach. »Zumindest darum musste ich mir nie Sorgen machen.«
»Nein, wohl kaum.« Martina stieß ihr den Ellbogen in die Seite. »Dein Liebster ist noch immer jede Sünde zweimal wert, aber er betet stur wie ein Bettelmönch allein die heilige Katharina an.«
Katharina lachte mit. In ihrem Inneren breitete sich Wärme aus, und zugleich verspürte sie einen stechenden Schmerz, weil sie Benito nicht bei sich hatte, weil sie den
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