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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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Anavera – an den heftigen Atemzügen wie an dem Schwall Leben, das mit ihr ins Zimmer schwappte.
    »Jo, Jo, stell dir vor, Tomás ist da!«
    Langsam drehte Josefa sich um. Anavera vermochte wie üblich vor Aufregung nicht stillzustehen. Ihr schwarzes Haar fiel ihr in dicken Strähnen aus dem Knoten, und ihre Wangen glühten von dem wilden Ritt. Jeder, der sie kannte, betonte, dass Josefa die schönere der Schwestern sei, aber Josefa war anderer Meinung. Mit ihren klaren Zügen, den scharfen Wangenknochen und den vor Wärme funkelnden fast schwarzen Augen war Anavera dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Und wenn man Josefa fragte, war ihr Vater der schönste Mann der Welt.
    »Hast du nicht gehört? Tomás ist da! Los komm, beeil dich. Er wartet auf der Veranda.«
    »Um mich zu sehen, ist er bestimmt nicht hier«, versetzte Josefa. Tomás war der Sohn von Martina und Felix, den engsten Freunden ihrer Eltern. Seine Familie lebte in der Hauptstadt, und dennoch war er beinahe wie ihr Bruder aufgewachsen. Ganze Sommer über hatte Martina ihren Sohn hierhergeschickt, damit er die Segnungen des Landlebens genießen konnte. »Du weißt gar nicht, wie gut du es hast«, pflegte sie zu Josefa zu sagen. »Nirgendwo kann ein Kind glücklicher aufwachsen als auf El Manzanal.«
    Auf die meisten Kinder mochte das zutreffen. Für Vicente, Anavera und die Schar ihrer Verwandten schien El Manzanal, der Rancho, auf dem ihre Familie den kostbaren Arabica-Kaffee anbaute und rassige Pferde züchtete, dem irdischen Paradies gleichzukommen. Josefa aber, die den betäubenden Duft des Kaffees hasste und sich vor Pferden fürchtete, sehnte sich nach dem Leben, das in der lichtdurchfluteten Hauptstadt tobte. Jedes Mal, wenn der Vater sie dorthin mitgenommen hatte, hatte sie sich gewünscht, sie dürfe bleiben.
    »Natürlich ist Tomás deinetwegen hier!«, empörte sich Anavera. »Warum wäre er wohl gekommen, wenn nicht, um deinen Geburtstag zu feiern?«
    Um dich anzuhimmeln, dachte Josefa. Bei seinem Besuch im Frühling hatte Tomás sichtlich Gefühle für Anavera entdeckt, die alles andere als brüderlich waren. Wenn Anavera das entgangen war, so nur, weil sie völlig selbstvergessen war, frei von jeder weiblichen Eitelkeit. Beneidenswert, dachte Josefa, und wieder einmal war sie zornig auf sich, weil sie an anderen so viel Beneidenswertes fand.
    »Jo, was ist denn?«
    »Nichts«, erwiderte Josefa schnell. »Es ist schön, dass Tomás da ist. Ist er mit Vater gekommen?«
    Zwei Dinge geschahen gleichzeitig: Anaveras Gesichtsausdruck veränderte sich, und Schritte polterten die Treppe hinauf. Ehe Anavera antworten konnte, erschien über ihrer Schulter Tomás’ vertrautes Gesicht. Als sogenannter Viertel-Mestize hatte er das helle Haar und die grauen Augen seines hanseatischen Vaters, aber die dunkle Haut und die markanten Züge seiner halbindianischen Mutter geerbt. »Hola, Geburtstagskind!«, rief er und legte wie selbstverständlich den Arm um Anaveras Taille. »Bist du nicht ein Glückspilz? Unsereiner muss sich mit einem popligen Namenstag begnügen, aber Josefa Alvarez, die Rose von Querétaro, lässt sich gleich zweimal im Jahr von ihren Bewunderern feiern.«
    Josefa lachte mit. Tomás war wie seine Mutter, ihre Patin Martina – sorglos, warmherzig und von einer Lebensfreude, die ansteckend war. Er und Anavera würden ein vollkommenes Paar abgeben. »Es ist ja nur, weil ich einundzwanzig werde«, sagte sie. »Vater war der Meinung, das sei einen richtigen Ball wert. Deshalb kommt er ein paar Tage her, obwohl Diaz ihn noch bis Oktober in der Hauptstadt haben will. Ist er denn schon da, Tomás? Ist er mit dir gekommen?«
    Mit Tomás’ Gesicht geschah dasselbe wie zuvor mit dem von Anavera – alle Heiterkeit erlosch. Die beiden drehten die Köpfe zueinander und tauschten einen langen Blick, ehe sie sich wieder ihr zuwandten. »Josefa«, begannen sie wie aus einem Mund. Dann tauschten sie noch einen Blick, und endlich sprach Tomás weiter: »Dein Vater kann nicht kommen. Als Trostpflaster schickt er mich und mein reizendes Mütterlein obendrein. Ich weiß, das ist nur ein mieser Ersatz, aber besser als gar nichts, oder?«
    Sein Lächeln war aufgesetzt, und Josefa brachte kein Wort heraus.
    »Bitte versuch es zu verstehen, Jo«, sagte Anavera. »Es ist etwas Schreckliches geschehen. Vater schickt dir ein unglaubliches Geschenk, aber er kann jetzt beim besten Willen nicht aus der Hauptstadt weg.«
    »Nun mal halblang.«

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